Kapelle, Königliche Kapelle, Kaplan

[478] Kapelle, Königliche Kapelle, Kaplan. Kapellen oder Oratorien sind gottesdienstliche Gebäude, welche bloss zum Gebete oder zum Privatgebrauche bestimmt sind. In altchristlicher Zeit war das hauptsächlichste unter den kirchlichen Nebengebäuden die Taufkapelle, Baptisterium, welche aus einem Vorgemache und dem Hauptraume mit dem Wasserbecken, piscina, bestand und in der Nähe der Hauptkirchen errichtet war. Der Hauptraum war gewöhnlich von runder oder achteckiger Grundform, und die innere Einrichtung des regelmässig dem Täufer Johannes gewidmeten Gebäudes erinnerte ebenso an die gleichnamigen Schwimmteiche in den antiken Bädern, wie die Grundform an die antiken Grabmäler. Solche Taufhäuser befanden sich nur an den bischöflichen Kathedralen, mit denen sie durch einen Säulengang verbunden waren; denn das Taufrecht stand in älterer Zeit bloss den Bischöfen zu. Erhalten ist auf deutschem Boden keines; doch erinnern verschiedene in der Nähe von Kathedralen erbaute, zum Teil erst in neuerer Zeit abgebrochene Nebenkirchen, welche dem Johannes Baptista geweiht sind, an das ehemalige Vorhandensein von Baptisterien, so in Mainz, Worms, Speier,[478] Strassburg, Augsburg, Regensburg. Als besondere Bauwerke sind ausserdem Baptisterien bei der Abteikirche zu Fulda, und in späteren Umbauten vorhanden bei den Münstern zu Aachen und Essen.

Verwandt mit den Baptisterien sind die häufig dem Erzengel Michael gewidmeten runden oder vieleckigen Grabkapellen auf Kirchöfen, als Nachbildungen der Rotunde über dem heiligen Grabe zu Jerusalem; das älteste Beispiel davon ist die Michaeliskirche zu Fulda, welche 820 nach dem Plane des in Jerusalem gewesenen Rabanus Maurus errichtet wurde; auch die vom heil. Konrad (935 bis 971) zur Erinnerung an seine Pilgereise nach Jerusalem am Dom zu Konstanz errichtete Grabkapelle ist erhalten, wie manche andere ähnliche Bauten, namentlich in Österreich.

Eine besondere Gattung der Oratorien bilden die Burgkappellen; sie sind, mit den stets im zweiten Stockwerk gelegenen herrschaftlichen Wohnräumen in Verbindung stehend, gewöhnlich ebenfalls im Obergeschoss angelegt. Manche Burgkapellen sind jedoch als Doppelkapellen gebaut und bestehen aus zwei überwölbten Stockwerken; das Obergeschoss ist dann stets der höhere und reicher verzierte, oft mit Säulen aus edlem Gestein ausgestattete Hauptraum, während das zur Grabstätte und zum Totendienste bestimmte Erdgeschoss niedriger und einfacher gehalten ist; eine vergitterte oder mit einer Brüstungsmauer versehene, im Fussboden der Oberkapelle befindliche Öffnung gestattet den Einblick auf die Gruft.

Der Name Kapelle wird von dem Mantel des heil. Martin von Tours, der cappa Sancti Martini abgeleitet, einem angesehenen Heiligtum der merowingisch-fränkischen Könige; sie heisst ihrer Kleinheit wegen capella, mit welchem Wort man ebenso den Ort benannte, worin die cappa Sancti Martini aufbewahrt war. Besondere Geistliche, Kapellane, mussten sie hüten und im Krieg und Frieden überallhin dem Könige nachtragen. Karl der Gr. erbaute ihr an der Pfalz zu Aachen, seine Nachfolger auch an anderen Orten eine eigene Kirche zu diesem Zwecke. Der erste der an dieser Kapelle angestellten Kapellane erhielt unter Pipin und seinen Nachfolgern eine besonders angesehene and einflussreiche Stellung; er wurde als der Nachfolger des einstigen Vorstehers oder Abtes des königlichen Oratoriums betrachtet. Er hiess Erzpriester, archipresbyter, auch custos capellae oder palatii, archicapellanus. Unter seiner Obhut standen alle kirchlichen Handlungen, die am Hofe vorkamen, er segnete Mittags die Mahlzeit, er hatte die für den Gottesdienst erforderlichen Geräte, Schmuck und die andern hier lebenden Geistlichen zu beaufsichtigen. Ausserdem war ihm die Sorge für alles, was mit den geistlichen Angelegenheiten zusammenhing, übertragen; Wünsche und Anliegen der Geistlichen, Streitigkeiten derselben kamen zuerst an ihn und durch ihn an den Kaiser. Es war deshalb ein hohes Amt, dessen Einfluss später noch dadurch erhöht wurde, dass der Erzkaplan die kaiserliche Kanzlei zu leiten hatte, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil in der Kapelle wichtige Urkunden aufbewahrt zu werden pflegten, vielleicht überhaupt das Archiv hier seinen Platz hatte und weil überhaupt immer Geistliche zu Kanzlern genommen wurden. Die Königin hatte ihren eigenen Kaplan, und überhaupt waren stets mehrere Geistliche an der Kapelle bethätigt; es galt dieser Dienst als ein Weg, um zu höheren Stellen in der Kirche zu gelangen. Ihr Einfluss wuchs mehr und mehr; durch Rat am Hofe, durch Teilnahme an den allgemeinen Versammlungen, durch[479] Reichtum und Macht in den einzelnen Provinzen, denen sie angehörten, standen sie voran unter den Grossen des Reiches. An der königlichen Kapelle suchten ältere wie jüngere Männer Aufnahme. Zeitweise gab es hier für die Unterweisung derer, die in der Jugend an den Hof kamen, eigene Lehrer. Auch zu weltlichen Geschäften wurden die Kapellane gebraucht, zu Gesandtschaften und in kriegerischen Angelegenheiten, und es wurde geklagt, dass ein weltliches und selbst leichtfertiges Wesen unter ihnen Platz greife. Die strengere asketische Richtung der Kirche klagte namentlich die Kapelle als eine Pflanzschule der Simonie an. In jedem Falle war die Kapelle die Pflanzschule des Episkopates, und wenige Bischöfe sind nicht eine Zeitlang Mitglieder der königlichen Kapelle gewesen.

Wie bei den übrigen Hofämtern, so ging auch das Amt des Hofkapellans mit der Zeit an die kleineren Höfe der Herzoge, Herzoginnen, Markgrafen und Grafen über; es fehlte überhaupt an keinem fürstlichen Hofe und war oft in grösserer Anzahl vorhanden. Sie gehörten hier zum »Hofgesinde« und waren meist die vertrauten Ratgeber ihres Herrn. Sie besassen eigene Freiheiten, z.B. in Bayern das Recht, mit einem Gefolge von vier bis sechs Personen bei Hof zu erscheinen; der oberste Hofkaplan hatte hier bei Tafel den nächsten Sitz am Herzog. Oft war der Burgkaplan das einzige Mitglied des Hofgesindes, das schreiben und lesen konnte, er lass dann die eingehenden Briefe, schrieb die Antworten, fertigte Urkunden, unterwies die Kinder, repräsentierte überhaupt die gelehrte Bildung auf der Burg. Über die Architektur der Kapellen Otte, Archäologie und Schultz, Höfisches Leben, Abschn. I; über die königliche Kapelle Waitz, Verf.-Gesch.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 478-480.
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