Kirchenbuße

[594] Kirchenbuße, lat. poenitentia publica d.h. öffentliche Buße, die Gesammtheit der öffentlichen Bußwerke, zu denen sich ein schwerer Sünder nach vorausgegangener Reue und Beicht verstehen mußte, wenn er wieder ein vollberechtigtes Mitglied der christlichen Gemeinde sein wollte. Aus den Berathungen der Bischöfe über diese Kirchenstrafen gingen besondere Bußcanones hervor, welche später in Buß- oder Beichtbüchern gesammelt wurden und aus denen sich eine gleichförmige Bußdisciplin entwickelte. Wie die Aufnahme in die [594] Kirche stufenweise erfolgte, so geschah auch die Wiederaufnahme stufenweise. Das christliche Alterthum kannte 4 Grade der K.; die Büßenden des 1. Grades flehten in Trauerkleidern an der Kirchenthüre die Kirchgänger um ihre Fürsprache an; weil Reue und Schaam ihnen Thränen auspreßten, hießen sie flentes Weinende, oder auch, weil sie Wind u. Wetter ausgesetzt waren, hiemantes. Uebrigens weiß man nicht genau, ob dieser 1. Grad eine K. für sich oder lediglich der Anfang der andern Grade gewesen sei. Die Büßer des 2. Grades durften in die Kirche eintreten und das Vorlesen und Erklären der hl. Schrift mit anhören, weßhalb sie auch audientes, Hörende, genannt wurden, mußten sich aber beim Beginn der Feier der Mysterien aus dem Gottesdienste entfernen. Beim 3. Grade durfte der Büßer knieend (prostratus) bereits am Gebete, namentlich dem auf ihn selbst bezüglichen, sowie am Segen theilnehmen. Der 4. Grad der K. verlangte, daß die Betreffenden zwar der Feier der Eucharistie beiwohnen dürften, aber stehend (consistentes) und ohne selbst zum Genusse des hl. Abendmahles zugelassen zu werden. Häufig wurde auch ein öffentliches Sündenbekenntniß, entweder vor dem Presbyterium oder vor der ganzen Gemeinde zur Bedingung der Wiederaufnahme gemacht, nicht minder häufig in den ersten Jahrhunderten diese Bedingung von den Sündern aus eigenem Antriebe erfüllt. Wie streng die Bußdisciplin in der frühesten Zeit war, erhellt aus der Anfrage eines Briefes an Cyprian: ob Christen, die um ihres Glaubens willen alle Foltern der heidnischen Ortsbehörde zwar standhaft ertrugen, dagegen den Gewaltsandrohungen des Proconsul erlagen und Abtrünnige, lapsi, wurden, jemals wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen werden könnten. Oeffentliche Ehebrecher und gottgeweihte Jungfrauen, die sich hatten verführen lassen, mußten lebenslänglich sich einer K. unterziehen, wiederholte Götzenopfer, Unzucht und Ehebruch sollten selbst auf dem Todbette keine Lossprechung finden. Im Ganzen war die Dauer der K. verschieden, zumal der Bischof wegen den Fürbitten der Gläubigen, wegen Schwäche und Todesgefahr des Büßers dieselbe abkürzen, aus anderen Gründen aber auch verlängern konnte. Noch im Mittelalter waren K.n häufig, zumal der christliche Sinn der Zeit darin nichts Entehrendes erblickte, aber die Machtbefugniß der Bischöfe und Bußpriester führte zu Umwandlungen der K., indem sie statt einer solchen die Theilnahme an einem Kreuzzuge, eine Wallfahrt, einen Geldbeitrag zu kirchlichen und wohlthätigen Zwecken u.s.w. auferlegten, wobei aber jederzeit bußfertiger Sinn gefordert wurde; der Ablaß (s. d) artete hin und wieder mißbräuchlich in Ablaßkrämerei aus. Das Tridentinerconcil hat das Mißbräuchliche an den K.n beseitigt u. dieselben bestehen mindestens rechtlich bis heute. – In der griech. Kirche hat man die alte Bußdisciplin; bei den Protestanten blieb eine Art K. namentlich wegen Fleischesvergehungen längere Zeit in Uebung, Anklänge davon haben sich in einzelnen Gegenden, dann bei einzelnen Sekten: Quäckern, Herrnhutern u.s.f. erhalten und in neuester Zeit dringen die Altlutheraner und Pietisten allenthalben auf Wiedereinführung der K. Vgl. Ablaß, Beicht, Excommunication.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 594-595.
Lizenz:
Faksimiles:
594 | 595
Kategorien: