Saga

[16] Saga, die nordisch-germanische Göttin der Dichtkunst, die zweite der Asinen, die mit Odin täglich aus goldener Schale Kunde u. Weisheit trinkt, die Personification der Sage und Märe; die Sage selbst. Sage ist im allgemeinsten Sinne gleichbedeutend mit Gerücht, näher aber die Erzählung einer mehr oder minder wichtigen Begebenheit, die von Mund zu Mund fortgepflanzt wird und für deren Wahrheit keine strengen Beweise vorliegen, die aber im Unterschied von der Märe einen historischen Kern hat und namentlich an eine bestimmte Zeit, an historische Persönlichkeiten und Begebenheiten sich anknüpft. Alle Völker haben ihre Sagen, die minder cultivirten anstatt eigentlicher Geschichte nur Sagengeschichte, die cultivirten aus ihrer Urzeit ihre Götter- u. Heldensagen. Näher unterscheidet man a) Göttersagen, s. Mythologie; b) Menschensagen und zwar Heiligensagen (s. Legende) u. Heldensagen im engern Sinne, die einen mehr oder minder historischen oder poetischen Charakter an sich tragen und darnach abgetheilt werden können. So hatten die Hellenen eine sehr reiche historische u. poetische Heldensage, eine verhältnißmäßig dürftige die Römer, eine reiche aber dürftig erhaltene die Germanen; im hohen Norden begegnen uns die beiden Edda, die Fritjofsage, die Königssage der Geschichte Norwegens vom 9–13. Jahrh., in Schweden die Ingwarssage, in Rußland die Eymundssage, in Dänemark die Knytlinga- u. Jomsvikingasage u.a.m. – Sagenkreis, die Gesammtheit der Sagen, die sich an eine historisch hervorragende Persönlichkeit anknüpfen. Die ältesten deutschen Sagenkreise waren Gegenstand der Heldenlieder des Volkes (vgl. Epos) und näher: der niederrheinische oder fränkische (Sigfried der Drachentödter). burgundische (König Günther, Brunhilde u. Chriemhilde. Hagen), ostgothische (Dietrich von Bern), der vom Hunnenkönig Etzel (Attila), der friesische (Gudrun) u. lombardische (Otnit, Hug- und Wolfdietrich); von volksthümlichen poetischen Bearbeitungen derselben ist nur der Nibelungen Noth und die Gudrun vorhanden. Dagegen schließt sich die ritterliche Kunstdichtung mit vielen Heldengedichten, als deren Mittelpunkte Alexander und Karl d. Gr., die Graal- und Artussage erscheinen, mehr oder minder an die Volkssage an und eigenthümlich ist den Deutschen c) die Thiersage; die zum Epos erweiterte Fabel, s. Reinecke Vos und Thiersage. Welcher Reichthum an Sagen, deren Ursprung bis in die neuere Zeit heraufreicht, bei uns herrsche u. welche poetischen Schätze darin enthalten sind, lehren die Sammlungen von Volkssagen u. Volksliedern, deren Zahl seit Herders Zeit bis jetzt fast unübersehbar geworden ist, wobei man fast eifriger bei fremden Völkern als beim eigenen sammelte.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 16.
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