Saga [1]

[414] Saga (Plural Sogur, altnord.), eine Erzählung, soviel wie unser »Sage«, doch ohne den Nebenbegriff des Ungeschichtlichen. Eine kleinere Erzählung heißt Tháttr. Die reiche Sagaliteratur, in wohl ausgebildeter einheimischer Prosa, ist die eigenartigste und bedeutendste Schöpfung der altnordischen Literatur. Wir unterscheiden geschichtliche Sagas (norwegische Königsgeschichten und Isländersagas) und mythisch-romantische. Die Íslendinga sogur sind zum Teil kirchlichen, zum Teil weltlichen Inhalts. Letztere sind literarisch die wichtigsten und interessantesten, sie bilden den Ausgangspunkt der Saga-Erzählung und Saga-Schreibung, die wir Island verdanken (s. Nordische Sprache und Literatur). Die geschilderten Ereignisse fallen meist in die Zeit von Islands Besiedelung (874) bis gegen 1030; die Niederschrift fällt zum Teil noch ins 12., hauptsächlich aber ins 13. Jahrh. Mittelpunkt der S. ist meist ein bedeutender Mann (häufig ein Skalde) oder ein ganzes Geschlecht. Die Darstellung mit ihrem schlichten Stil ist höchst ansprechend, nicht selten ergreifend. Wie der Dialog von der täglichen Umgangssprache, so gewähren uns die Sagas überhaupt ein getreues Bild vom Leben auf Island. Vgl. Weinhold, Altnordisches Leben (Berl. 1856); Kaalund, Familienleben auf Island (in »Aarböger«, 1870); Möbius, Über die ältere isländische S. (Leipz. 1852); Döring, Über Typus und Stil der isländischen S. (das. 1877); Heinzel, Beschreibung der isländischen S. (Wien 1880); Hans Hildedraud, Lifvet på Island under sagotiden (2. Aufl., Stockh. 1883); A. U. Bååth, Nordiskt forntidsilf (das. 1890). Nach Stil und Charakterzeichnung steht allen voran die »Njáls-S.« (beste Ausg. von Gislason, Kopenhagen 1875 ff.); sehr nahe steht ihr die kleine, kunstvoll abgerundete »Gunnlaugs-S.« (Halle 1886; auch in Möbius' »Analecta Norroena«, 2. Aufl., Leipz. 1877; moderne Bearbeitung von Edzardi, Hannov. 1875; wortgetreue Übersetzung von E. Kölbing, Heilbr. 1878). Zu den bedeutendern Isländer-Sagas gehören ferner: die »Egils-S.« (s. Skalden), die »Bjarnar-S.« (Halle 1893), die »Eyrbyggia-S.« (das. 1897), »Laxdœla-S.« (das. 1896); »Flóamanna-S.«, »Vatnsdœla-S.« und »Hallfredhar-S.« (letztere drei hrsg. von Vigfusson und Möbius in »Fornsogur«, Leipz. 1860); ferner »Bandamanna-S.« (Kopenh. 1850, Lund 1874), »Fóstbrœdhra-S.« (Kopenh. 1822, Textausg. 1852), »Gull-Thóris S.« (das. 1898), »Grettis-S.« (Halle 1900), wichtig wegen ihrer Beziehungen zum angelsächsischen »Beowulf«; »Viga-Glúms-S.« (Kopenh. 1786 u. 1880), »Hrafnkels-S.« (das. 1839, Textausg. das. 1847), »Hœnsa-Thóris-S.« u.a. Die ganze Insel umfassen: »Islendingabók« und »Landnámabók« (s. Nordische Sprache und Literatur), ferner »Sturlunga-S.« (vom Geschlechte der Sturlunge), auch »Große Isländer-S.« genannt, verfaßt von Sturla Thordharson (gest. 1284), erweitert von Thorstein Snorrason um 1350. Ausg. von Gudbr. Vigfusson (Oxf. 1878, 2 Bde.) und von Kr. Kălund (Kopenh. 1906 ff.); dän. Übersetzung von demselben (das. 1904, 2 Bde.). Eine Gesamtausgabe der wichtigern »Islendinga sogur« erschien Kopenhagen 1829–30 (besser 1843–47); dänische Übersetzungen sind von N. M. PetersenHistoriske Fortællinger om Islændernes Faird«. 3. Aufl., das. 1900–01, 4 Bde.) und HornBilleder af Livet paa Island«, das. 1871–74, 2 Bde.) veröffentlicht. – Kirchliche Isländer-Sagas sind die »Kristni-S.«. von der Einführung des Christentums bis gegen 1120 (Halle 1905), ferner die Bischofsagas: »Hungrvaka« (das. 1905), »Jóns-S.«, »Laurentius-S.« u.a. (Gesamtausgabe von Vigfusson: »Biskupa sogur«, das. 1858, 2 Bde.).

Von Island kam die Sagaschreibung nach Norwegen, wo die »Noregs konunga sogur« zunächst noch von Isländern verfaßt wurden. Das Hauptwerk ist hier Snorris »Heimskringla« (s. Snorri); außerdem sind besonders die Sagas von Sverrir (1184 bis 1202) und seinen Nachfolgern (hrsg. von Unger: »Konunga sogur«, Christ. 1870–73) und die Sagas von Olaf I. Tryggvason (995–1000), die auf die lateinischen Werke der Mönche Odd und Gunnlaug zurückgehen (erstere hrsg. von Ulrich, das. 1853), ferner die größere und kleinere S. Olafs II., des Heiligen (erstere das. 1853, letztere das. 1849), u.a. zu nennen. Die Geschichte der nordischen Inselgruppen behandeln die »Orkneyinga-S.« (Ausg. von Vigfusson, Lond. 1887) und »Færeyinga-S.« (Kopenh. 1833), die Amerikas (Vinlands) und Grönlands »Eiríks saga raudha« (hrsg. von Arthur M. Reeves, Lond. 1890, und G. Storm, Kopenh. 1891) u.a.; ferner die Geschichte Dänemarks die »Knytlinga-S.« und die »Jómsvíkinga-S.« (Stockh. 1815, Kopenh. 1824, Lund 1875 u. 1879). Gesamtausgabe: »Forumanna sogur« (Kopenh. 1825–37, 12 Bde.); dänische Übersetzung. »Oldnordiske Sagær« etc., lateinische in »Scripta historica Islandorum« (das. 1828–46, 12 Bde.).

Mythische Sagas, die alte Heldensagen behandeln, sind zunächst die die Lieder-Edda teilweise ergänzende »Volsunga-S.«, Prosabearbeitung der Volsungenlieder der Edda nach einer bessern und vollständigern Handschrift (hrsg. von Bugge, Christ. 1865. und von Ranisch, Berl. 1891); deutsche Übersetzung von A. Edzardi, Stuttg. 1880; vgl. Symons, Über die Volsunga-S. (in Pauls und Braunes »Beiträgen«, Bd. 3, Halle 1876) und Siegfried und Brunhild (in der »Zeitschrift für deutsche Philologie«, Bd. 24, das. 1891); Müllenhoff in der »Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur«, Bd. 23 (Berl. 1879), und »Nornagests tháttr« (hrsg. von Bugge, Christ. 1864; beide zusammen auch von E. Wilken, Paderb. 1878); ferner die »Thidhreks-S.« (oder Wilkinasaga), eine Zusammenfassung deutscher Heldensagen, deren Mittelpunkt Dietrich von Bern, nach niederdeutschen Quellen, um 1250 (hrsg. von Bartelsen, Kopenh. 1905 f.; vgl. Raßmann, Niflunga-S. und Nibelungenlied, Heilbr. 1877), und »Blómstrvalla-S.« (hrsg. von Möbius, Leipz. 1855). Unter den Sagas, die einheimische Stoffe behandeln, sind die »Hervarar-S.« (Kopenh. 1847; hrsg. von Bugge, Christ. 1873) und »Halfs-S.« (hrsg. von Bugge, das. 1864) besonders wichtig, weil sie vielfach alte Lieder und Strophen oder deren Prosaauflösung enthalten. Wir nennen noch »Hrólfs S. Kraka« und »Ragnars S. Lodhbrókar«, die Sagas von Thorsteinn Vikings son und Fridhthjófr (moderne Bearbeitung von Tegnér); ferner gibt es Sagas von Orvar-Oddr (hrsg. von Boer, Halle 1892), Ketill Hängr, Ann, Hrómundr, den »Sorla tháttr« (Hildensage), »Gongu-Hrólfs-S.«, »Guntreks S.« etc. Gesamtausgabe von RafnFornaldar sogur Nordhrlanda«, Kopenh. 1829–30, 3 Bde.). Übersetzungen: dänisch von RafnNordiske Kämpe-Historier«, 1821–26, 3 Bde.); schwedisch von Liljegren (Stockh. 1818, 2 Bde.); deutsch von v. d. HagenNordische Heldenromane«, Bresl. 1814–28, 5 Bde.). Die romantischen Sagas sind [414] Bearbeitungen ausländischer (meist französischer) Ritterromane, wie: »Trójumanna S.«, »Breta sogur« (nach Gottfried v. Monmouth), beide herausgegeben in »Annaler« (1848 u. 1849); »Strengleikar« (Kopenh. 1859; vgl. R. Meißner, Die Strengleikar, Halle 1902); Sagas von Alexander und Karl d. Gr., Ivents-, Ereks-, Tristrams-, Parcevals-, Flóres-, Magus-, Bärings-, Flovents-S. etc., zum Teil herausgegeben und bearbeitet von Kölbing (in »Riddara-sogur«, Straßb. 1872) u. Cederschiöld (in »Fornsogur Sudhrlanda«, Lund 1884). Hierher gehören endlich die Legenden: »Heilagra manna sogur« (hrsg. von Unger, Christ. 1877, 2 Bde.), »Postola sogur« (hrsg. von Unger, das. 1874), »Osvalds-S.« (in »Annaler«, 1854), »Barlaams S.« (Christ. 1851). – Eine Sammlung der wichtigsten Sagas mit deutschen erklärenden Anmerkungen wird von G. Cederschiöld, H. Gering und E. Mogk herausgegeben (»Altnordische Sagabibliothek«, Bd. 1–12, Halle 1891–1906). Das vorhandene Material (zum Teil auch noch ungedrucktes) verzeichnet P. E. Müllers »Sagabibliothek« (Kopenh. 1817–28, 3 Bde.), zum Teil übersetzt von Lachmann (Berl. 1816) und von Lange (mit Zusätzen, Frankfurt a. M. 1832).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 414-415.
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