Bern [1]

[498] Bern, Kanton der Schweiz, gränzt an Frankreich, Baselland, Solothurn, Aargau, Luzern, Freiburg, Waadt, Wallis und Uri, 128,9 QM. groß mit 488000 E., unter diesen nicht 100000 Katholiken. Der Kanton ist polit. in 28 Aemter getheilt, seiner natürlichen Beschaffenheit nach zerfällt er: 1. das Oberland, von den Quellbächen der Aar bis Thun, Gebirgsland (Finsteraarhorn 13200', Wetterhorn 11500', Schreckhorn 12600', Jungfrau 12900', Mönch 12700', Tschingelhorn 11700', Faulhorn 8300' mit einem Gasthofe, jetzt die höchste Wohnung Europas) mit dem Rawyler-, Gemmi-, Grimselpaß nach Wallis, dem Susten nach Uri, dem Brünig nach Unterwalden, dem Thuner- und Brienzersee, herrlichen Wasserfällen (Staubbach, Reichenbach, Handegg), trefflichen Alpen und schönen Wiesen in den Thälern. Die Bevölkerung ist hohen Wuchses und schön, aber durch die Fremdenzüge im Sommer umgewandelt; die Armuth und Verschuldung ist im Oberlande in neuester Zeitgefährlich gewachsen. 2. Das Mittelland, früher Aargau, von Thun bis an die Gränze von Solothurn und Kanton Aargau, mit trefflichem Ackerbau, Obstbau, Viehzucht; hier sind die reichen Berner Bauern unter Strohdächern zu Hause, der kräftige, phlegmatische, aber energische Menschenschlag, in Gefahr von dem seit 1830 überhandnehmenden ländlichen Proletariat überwuchert zu werden. Zur Seite liegt in einer Auszweigung des centralen Gebirgs 3. das Emmenthal, mit herrlichen Alpen und Wiesen, reichen Käsebauern und großen Dörfern; auch hier wächst die Zahl der Proletarier gefahrdrohend. 4. Das Land am Jura, Bieler- und Murtensee, das Seeland, halb versumpft, arm, unruhig, halb französisch. 5. Das eigentl. Juraland (die leberberg. Aemter, Pruntrut) einst bischöflich baslisch, 1791–1815 französisch, außer dem Münsterthale kath., ein Hauptplatz der schweizerischen Uhrenindustrie, unruhiges Land, das sich seit 1815 noch nicht an Bern gewöhnt hat. Die Verfassung des Kantons ist rein demokrat.; Gesetzgebung, Besteuerung, Begnadigung, die Wahl zu Staatsämtern liegt bei dem Großen Rathe (Repräsentanten), die Regierungsgeschäfte übt der Regierungsrath, ein Obergericht ist höchste Instanz. Vor 1846 hatte der Kanton an Kapitalien 4 Mill. alte Franken (à 40 Kr.), an Wäldern, Rechten u.s.w. 28 Mill., es war der wohlhabendste Staat Europas, seitdem hat aber die radikale Stämpflische Regierung so administrirt, daß das Budget ein jährliches Deficit von 3–400000 Fr. ausweist. – Der heutige Kanton B. entstund bei der allmäligen Auflösung des deutschen Reiches; die im Jahr 1198 durch den Zähringer Berthold erbaute Stadt wurde unter den letzten Hohenstaufen reichsfrei, eroberte bei guter Gelegenheit einzelne Burgen und Dörfer von dem benachbarten Adel, kaufte Verpfändete an sich, ließ sich 1351 in den eidsgenöss. Bund aufnehmen, bemächtigte sich 1414 des wehrlosen Aargaus, 1536 der Waadt und ward so Herrin eines Gebiets von 236 QM. In letzter Zeit bildete sich die Aristokratie zur Oligarchie der Patrizier aus, aber der Wohlstand des Landes nahm sichtlich zu und noch Friedrich d. Gr. lobte die Würde und Klugheit jener Regierung. 1798 empörte sich durch französ. Einfluß die Waadt und Frankreich benützte diese Gelegenheit B. und die Schweiz zu besetzen und zu plündern. 1815 stellte das Patriciat wieder her, trennte aber Aargau und Waadt, 1830 gab den reichen Bauern und Bürgern das Uebergewicht, 1846 radicalisirte die Verfassung, 1849 brachte wieder einen Halt in die Bewegung [498] und gegenwärtig dauert derselbe noch fort.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 498-499.
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