Mythologie

[277] Mythologie, griech., die Lehre vom Mythos, näher die »Wissenschaft, welche sich mit der Gewinnung (aus den Quellen), der Aufstellung, Würdigung u. Erklärung der Mythen befaßt«, die Götterlehre eines Volkes. Mythos, ursprünglich – Logos d.h. Rede. Erzählung, bezeichnete früh die Erzählung von Thatsachen oder Vorstellungen, welche an eine vorhistorische Persönlichkeit sich anknüpfen; jetzt versteht man darunter besonders die Göttersage, die Gesammtheit der religiösen Sagen eines Volkes. Historisch betrachtet ist die M. ein Theil der Culturgeschichte; sie enthält die allerältesten Nachrichten über die Cultur eines Volkes u. damit auch den Schlüssel zur Urgeschichte u. spätern Geschichte desselben. Allein sie ist eine verhältnißmäßig sehr junge und bis jetzt ziemlich unfruchtbare Wissenschaft; erst wenige M.n sind wissenschaftlich, befriedigend aber keine einzige, nicht einmal die verhältnißmäßig bekannteste der alten Griechen, bearbeitet. Der Ursprung der Mythen bleibt wohl historisch unerforschlich; bei einer Vergleichung der M. verschiedener Völker möchte sich ergeben: 1) daß die ältesten allenthalben auf Monotheismus hinauslaufen und für die weite Verbreitung ziemlich gleichartiger Bildung Zeugniß ablegen; 2) daß nirgends ein Mythos auf einmal entstand, sondern allmälig u. daß die einzelnen physischen, historischen u. religiösen Mythen in einander [277] verschmolzen, vermengt u. entstellt wurden, der ganze Glaubenskreis aber sich verschlechterte. Viele Ursachen, namentlich auch die Systematisirungssucht, halfen bei, das ohnehin schwierige Studium der M. noch mehr zu verwirren u. ergebnißarm zu machen. Während z.B. bis zu Bossuets Zeiten manche in den altgriech. Mythen lediglich die Geschichten des alten u. neuen Testamentes in griech. Verhüllung fanden, sahen andere darin lauter Sinnbilder der Tugend, andere Symbole der Natur- u. Sternkunde, noch andere Geheimlehren der Alchemie; fand dieser in den Helden der M. lauter historische Personen, so behauptete jener, alles laufe auf Personificationen chemischer Prozesse hinaus u.s.w. Die Zahl derer, welche seit dem Erscheinen der Genealogia Deorum gentilium des I. Boccaccio (Venet. 1472; 1511) die griech. und röm. M. bearbeiteten, heißt Legion (namhaft besonders Creuzer, Lobeck, O. Müller u. Heffter); die deutsche und nordische bearbeiteten Grimm, Simrock, Kayser, Petersen, die finnische Castrén, die phönizische Movers, die ägyptische Bunsen und Lepsius, die indische Lassen, Majer, Rhode u.a. – Mythisch, sagenhaft, erdichtet; mythologisch, zur M. gehörend, sagenkundig. K. Schwenck gab eine »M. der Griechen, Römer, Aegypter, Semiten, Perser, Germanen u. Slaven« heraus (2. Aufl. Frankf. a. M. 1855, 7 B.).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 277-278.
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