Lufttemperatur

[261] Lufttemperatur eines Ortes ist, soweit es sich um einen Mittelwert handelt, bedingt durch die von der Sonne zugestrahlte Wärmemenge und den Betrag der Ausstrahlung nach dem Weltenraume, durch die physikalische Beschaffenheit der Erdoberfläche, die den Grad deren Erwärmung und Erkaltung bestimmt, durch die Wärmeverhältnisse der herrschenden Luftströme, wobei insbesondere die durch die großen Kontinente hervorgerufenen Luftzirkulationen, die Monsune, die Tag- und Nachtwinde und die durch den Lufttransport vermittelte Einwirkung der Meeresströmungen hervorzuheben sind, durch die Erhebung des Ortes über dem Meeresspiegel und die lokale Gestalt der Erdoberfläche (Tal, Abhang u.s.w.). Im besonderen Falle wirken der Wind, der Grad der Himmelsbedeckung und die mehr zufällige Beschaffenheit des Bodens, ob feucht oder trocken, und zumal eine etwa vorhandene Schneedecke, die die Ausstrahlung begünstigt und die Einstrahlung vermindert, mehr oder weniger bestimmend mit. Bis zu welchem Grad die Bewölkung die Temperatur zu beeinflussen vermag, lehren die Mitteltemperaturen in den Tropen, wo die kalten Jahreszeiten mit dem höchsten, die warmen mit dem niedrigsten Sonnenstande zusammenfallen, da die durch starke Bewölkung ausgezeichneten Regenzeiten hier mit dem höchsten Sonnenstande zusammentreffen.

Zur Bestimmung der Lufttemperatur bedient man sich der Thermometer (s.d.), auf Reisen mit Vorteil eines Schleuderthermometers oder des Aßmannschen Aspirationspsychrometers, sonst aber fest aufgestellter Thermometer, und zwar der sogenannten Fensteraufstellungen an der Nordseite von Gebäuden oder der sogenannten Thermometerhütten, die frei in der Sonne aufgestellt werden. Als Fensteraufstellungen sind besonders zu nennen die »altpreußische«, wo die Thermometer ganz frei in passender Entfernung vor dem Fenster angebracht werden, die Hellmannsche, wo die Thermometer in einem unten offenen Zinkblechgehäuse untergebracht sind; das eine von Reiner erdachte Vorrichtung zum Selbstöffnen beim Heranziehen des Gehäuses an das Fenster hat, und die bayrische Fensteraufstellung, die sich von der letzteren dadurch unterscheidet, daß das Gehäuse sowohl unten als auf der Nordseite offen ist. Von den Thermometerhütten sind die verbreitetsten die »englische Hütte« oder »Stevenson-Screen«, bei welcher der durch Jalousiebrettchen allseits abgeschlossene Thermometerraum nur etwa die Dimensionen 45 · 45 · 35 cm hat und die Thermometer in etwa 1,8 m Höhe über dem Erdboden aufgestellt werden, die Wildsche Hütte, die erheblich größer und nach Norden offen, ca. 4,6 m hoch ist und die Thermometer in ca. 3,2 m Höhe über dem Boden anbringen läßt, und die »französische Hütte«, die im wesentlichen nur aus einem doppelten Dache besteht von solcher Neigung, daß zur Mittagszeit eine Sonnenbestrahlung der Thermometer ausgeschlossen ist, somit noch einen besonderen Bretterschirm nötig macht, um morgens und abends die Sonne abzuhalten, und die Thermometer in 1,5 m über dem Boden aufstellen läßt. Die Frage nach der besten Thermometeraufstellung hat mancherlei Kontroverse veranlaßt. Nach Sprung geben die verschiedenen [261] Formen der Fensteraufstellungen, einschließlich der ganz freien Aufstellung vor dem Fenster, wenn die Thermometer vollkommen gegen Sonnenstrahlen geschützt sind, gut übereinstimmende Temperaturen und eine größere Uebereinstimmung als die Hüttenaufstellungen. Zwischen den Temperaturen bei beiderlei Aufteilungen bestehen systematische Abweichungen, indem die Tagesschwankungen in der Hütte größer als vor dem Fenster ausfallen. Die Vergleichung der Thermometerangaben mit denen eines Schleuderthermometers ergab die meisten Vorzüge für die »englische Hütte«, führte indessen, zumal die Aufstellung einer Hütte wohl auf den meisten Stationen kaum möglich sein würde, nicht zur Verwerfung der Fensteraufstellung, wohl aber zu der Forderung, in ein und demselben Beobachtungsnetz nicht verschiedene Thermometeraufstellungen einzuführen. Auf allen meteorologischen Stationen, außer den Regen- und Gewitterstationen, wird heute an geprüften Thermometern neben der Bestimmung der täglichen Maximum- und Minimumtemperatur die Temperatur der Luft an den festen Beobachtungsterminen täglich mehrfach abgelesen und auf den besser ausgerüsteten Stationen auch fortlaufend durch Registrierinstrumente aufgezeichnet. Soweit die Terminbeobachtungen telegraphisch an meteorologische Zentralstellen, die der Wetterprognose dienen, übermittelt werden, dienen sie zur Zeichnung der synoptischen Wetterkarten, wo den konstruierten Isothermen noch eine besondere Bedeutung zukommt; ihr Verlauf steht nämlich zu dem Fortschreiten der barometrischen Minima in der Beziehung, daß diese bei ihrer Fortbewegung Gebiete relativ hoher Temperatur auf ihrer rechten Seite liegen zu lassen pflegen, falls nicht die allgemeine Verteilung des Luftdruckes in entgegengesetztem und stärkerem Sinne einwirkt. Allgemein werden die Temperaturbeobachtungen der Stationen zu Mittelwerten der Monate und des Jahres vereinigt, zum Teil auch in den Einzelwerten, in den meteorologischen Jahrbüchern veröffentlicht, in denen sie dann für klimatologische Untersuchungen zugängig sind. Neben den in längeren oder kürzeren Zeiträumen (Monaten, Jahreszeiten, Jahr, Lustrum, Dezennium u.s.w.) beobachteten absoluten Extremen der Lufttemperatur und deren aus vielen solcher Zeiträume abgeleiteten Mittelwerten hat auch die mittlere periodische Tagesschwankung (der Unterschied zwischen den Monatsmitteln der täglichen Extremtemperaturen) und die interdiurne Veränderlichkeit der Temperatur (das Mittel aus der Aenderung der Temperatur eines bestimmten Zeitpunktes von einem Tag zum andern oder das Mittel der Aenderung der mittleren Tagestemperatur von einem Tage zum andern) für die Klimatologie Bedeutung.


Literatur: Bibliography of meteorology, I, Temperature (bis 1887 reichend) herausgeg. vom Signal Service, Washington City 1889; Aßmann, Das Aspirationspsychrometer, Abhandlungen vom Kgl. Preuß. Meteorolog. Institut, Bd. 1, 1891; Schubert, Ein Schleuderthermometer und Psychrometer, Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1896; Wild, H., Neue Versuche über Bestimmung der wahren Lufttemperatur, Repertorium für Meteorologie, Bd. 10, Nr. 4 und 10, Petersburg 1885 und 1887; Köppen, Studien über die Bestimmung der Lufttemperatur und des Luftdrucks, 1. Teil, Untersuchung über die Bestimmung der Lufttemperatur, Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, Hamburg 1887; Sprung, Bericht über vergleichende Beobachtungen an verschiedenen Thermometeraufstellungen zu Groß-Lichterfelde bei Berlin, Abhandlungen des Kgl. Preuß. Meteorol. Instituts, Bd. 1, Berlin 1888; Hartmann, J., Ueber einen Satz der Thermometrie, Meteorol. Zeitschr., Bd. 14, 1897; Jelinek, Anleitung zur Ausführung meteorologischer Beobachtungen nebst einer Sammlung von Hilfstafeln, 2 Teile, 4. Aufl., Wien 1895 (Leipzig); Meyer, Hugo, Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für die Klimatologie, Berlin 1891; Ekholm, Ueber Emission und Absorption der Wärme und deren Bedeutung für die Temperatur der Luft der Erdoberfläche, Meteorol. Zeitschr., Bd. 19, 1902; Langley, Ueber eine mögliche Aenderung der Sonnenstrahlung und deren wahrscheinlichen Effekt auf die Temperatur der Erde, in The Astrophys. Journal, XIX, 1904, Meteorol. Zeitschr., Bd. 21, 1904; Schubert, Der Wärmeaustausch im festen Erdboden, in Gewässern und in der Atmosphäre, Berlin 1904, Referat in Meteorol. Zeitschr., Bd. 21, 1905; Angot, Etude sur la Variation diurne de la température, ebend., Hann-Band 1906; Bezold, W. v., Ueber Strahlungsnormalen und Mittellinien der Temperatur, ebend.

Großmann.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 261-262.
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