Schiffahrt

[630] Schiffahrt heißt der Güter- und Personentransport zu Wasser.

Das Fahrzeug ist dabei das Schiff, der Kahn (s.d.) oder das Boot (s.d.); die Fahrbahn das stehende oder fließende Gewässer von hinreichender Tiefe [1]. Die Wasserstraße ist entweder eine natürliche oder künstliche. Zu den ersteren gehören die schiffbaren Flüsse und Ströme, zu den künstlichen die Schiffahrtskanäle (s.d.) [2]. Zu unterscheiden sind die Seeschiffahrt (s.d.) mit der Küstenschiffahrt (Cabotage) und die Binnenschiffahrt, letztere auf den Wasserstraßen und in den kleineren Seen des Festlandes. – Die Gesamtlänge der schiffbaren Strecken betrug im Gebiete des Deutschen Reiches nach der letzten (1903) amtlichen Statistik 13793 km. Die Fahrwassertiefe schwankte zwischen 1 und 5 m. Die Herstellung und der Ausbau von Wasserstraßen ist in Deutschland durch die Landesgesetzgebung geregelt, für Preußen durch das Gesetz vom 1. April 1905, unbeschadet der durch Art. 4, Abs. 8 und 9 der Reichsverfassung stipulierten Aufsicht durch das Reich [3].

Beim Binnenwasserverkehr gehört zu den primitivsten, einseitigen, nur talabwärts gehenden Transporten 1. das Triften (s.d.); 2. das Flößen oder die Flößerei (s.d.); 3. die Verfrachtung in einfachen Zillen (Pletten), die nicht zurückgeführt werden; 4. die Schiffahrt auf Schwellungen (intermittierende Schiffahrt), s. Kanalisierung der Flüsse. Bei letzterer werden die geringen Wassermengen kleiner Flüsse durch Stauanlagen angesammelt, so daß die beladenen Fahrzeuge darauf schwimmen. An bestimmten Tagen, den sogenannten Zapfeltagen, wird dann die schiffbare Schleuse geöffnet, und auf dem nun rasch abfließenden Wasserschwall schwimmen die Schiffsgefäße abwärts. In gewissen Entfernungen wiederholen sich solche Stauanlagen zur neuerlichen Wasseransammlung behufs Konzentrierung der im Laufe sich wieder verflachenden Wasserwelle. Zur Uebersetzung einer Wasserfläche, die Stelle einer Brücke vertretend, dienen 5. die Fähren (s.d.) und Trajektanstalten (s.d.). Bei der vollkommenen Schiffahrt findet der Verkehr nach beiden Seiten flau. Hierher gehören 6. die Flußschiffahrt (s.d.) entweder auf freien, an sich schiffbaren oder kanalisierten Flußstrecken und 7. die Kanalschiffahrt (s.d.). – Die außerordentliche volkswirtschaftliche Wichtigkeit der Binnenschiffahrt wird jetzt allgemein anerkannt. Der Verkehr zu Wasser ist zwar relativ langsam und nicht seiten während Frostperioden und Zeiten abnorm niedrigen Wasserstandes unterbrochen, trotzdem aber relativ billig. Der Eisenbahnverkehr (s.d.) ist demgegenüber absolut schneller, kann kontinuierlich aufrechterhalten werden, ist im Betrieb aber wesentlich teurer. Die Gesamtlänge der Haupt- und Nebenbahnen des Deutschen Reiches betrug am 1. Januar 1908 ca. 58000 km, die Länge der Kleinbahnen ca. 9000 km; die Gesamtlänge der preußischen Haupt- und Nebenbahnen betrug 1906 33552 km. Der gesamte Güterverkehr auf deutschen Eisenbahnen, unter Ausschluß der Kleinbahnen, umfaßte 1907 359152174 t [4]. Der gesamte Güterverkehr der Kleinbahnen betrug 1905 ca. 15000000 t. Aus einem Vergleich dieser Ziffern mit den für die Binnenschiffahrt gegebenen folgt, daß der Wasser- und der Schienenweg nicht als einander schädigende Konkurrenten gelten können, sondern daß sie sich je nach der Art der Transportgüter in die zu leistende Arbeit zu teilen und so einander zu ergänzen haben. In der Hauptsache wird den Eisenbahnen außer dem Personentransport der Verkehr in hochwertigen Gütern zufallen sowie in solchen, deren Transport zeitlich unter allen Umständen sichergestellt sein muß, während die Bewegung relativ geringwertiger Massengüter die Spezialaufgabe der Binnenschiffahrt darstellt, ohne jedoch als ausschließliches Vorrecht des Schiffahrtbetriebes angesehen werden zu können. – Eine übersichtliche bildliche Darstellung ergibt sich aus Landkarten, in denen man an die Wasserwege Streifen zeichnet, deren Breite der Verkehrsdichte oder dem kilometrischen Verkehr, d.i. der Anzahl der Tonnen der Güterbewegung, die durchschnittlich auf 1 km entfallen, proportional ist [5]–[7].


Literatur: [1] Franzius, L., Der Wasserbau. – [2] Die Schiffahrt der deutschen Ströme, Untersuchungen über deren Abgabewesen, Regulierungskosten und Verkehrsverhältnisse, Bd. 1–3; Peters, Max, Schiffahrtsabgaben, Bd. 1–3, 1906/08; Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 100–102, 115, 116, Leipzig 1903/08; Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik über die finanzielle Behandlung der deutschen Binnen wasserstraßen, Mannheim 1903. – [3] Statistisches[630] Handbuch für das Deutsche Reich, 1907, Bd. 1, S. 325. – [4] Archiv für Eisenbahnwesen, herausgegeben im Kgl. Preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 1908, Heft 5, S. 1163 ff. – [5] Sympher, Der Verkehr auf deutschen Wasserstraßen, Berlin 1891; Derselbe, Die wirtschaftliche Bedeutung des Rhein-Elbekanals, Berlin 1899. – [6] Zeitschr. für Bauwesen 1880, Tafel 55. – [7] Kurs, Viktor, Tabellen und Karten über die flößbaren und schiffbaren Wasserstraßen, Berlin 1895; Halle, E. v., Die Weltwirtschaft, 1907; Wolff, Verkehrswesen der Eisenbahnen; Stuckmann, P., Die Binnenschiffahrt. – [8] Cords, Th. M., Die Bedeutung der Binnenschiffahrt für die deutsche Seeschiffahrt (1890–1903), Volkswirtschaftl. Studien, Stück 81, München 1906.

Mollwo.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 630-631.
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