Tempel

[515] Tempel, die für den Gottesdienst bestimmten öffentlichen Gebäude nicht nur im Altertum, sondern der verschiedensten Völker und Zeiten. Man hat zu unterscheiden: Kulttempel für gottesdienstliche Zwecke, Weihetempel zur Aufstellung von Weihegeschenken (Schatzhäuser) und Grabestempel zum Andenken an Verstorbene.

Als die ältesten Zeugen menschlicher Kunst dürfen wir außer den Pyramiden (s.d.), den Königsgräbern, die Tempelbauten der Aegypter bezeichnen. Diese bilden großartige bauliche Anlagen von mächtigster Wirkung und vieltausendjähriger Dauer. Sie bauten sich auf als eine gewaltige eintönige Masse, fast ohne Fenster- und Türöffnungen. An der Vorderseite, auf welche großartige Zugangswege, zu beiden Seiten mit Hunderten von riesenhaften Sphynxen (s.d.) besetzt, zuführten, war der Eingang von mäßiger Größe zwischen zwei mächtigen viereckigen geböschten Türmen, den Pylonen (s.d., Bd. 7, S. 301, nebst Figur). Hinter diesen liegt der an drei Seiten von Säulenhallen umgebene Vorhof, oder es sind mehrere Höfe, welche zu dem säulenreichen Hauptsaal mit Steindecke und seitlichem Oberlicht (s. Fig. 1) führen. Hieran schließt sich das Allerheiligste, ein kleiner Raum, rings umgeben von den Wohn- und Versammlungsräumen der Priester. Dabei nahmen die Größenverhältnisse von den Eingängen und Höfen mehr und mehr ab (Fig. 2). Die Hauptwirkung sollte durch die Wucht der Pylonen und Säulenstämme erzielt werden. Die berühmtesten Tempel waren die zu Karnak, zu Luksor und zu Edfu u.s.w. [1].

Von den Tempeln der asiatischen Völker sind zu erwähnen 1. die assyrischen Stufenpyramiden von mächtigem Umfange (Turm von Babylon), auf deren Spitze die Verehrung der Planeten stattfand. 2. Die indischen Tempelanlagen, welche in zwei Formen erscheinen, den freistehenden Pagoden (s.d., Bd. 6, S. 793) und den in Fels gehauenen Grottentempeln (s. Fig. 3), zu welchen oft ganze Berge ausgehöhlt wurden. Darin finden sich Kanäle und Teiche zu Waschungen, Gänge, Treppen und Hallen, Tempelzellen und Herbergen für Pilger ausgearbeitet. Die Decken sind teils flach auf überreich geformten bauchigen Pfeilern aufgesetzt, teils hochgewölbt mit phantastischer bilderreicher Ausschmückung. 3. Die chinesischen Tempel sind als freistehende Turmbauten (s. Fig. 4) gestaltet mit einzelnen Stockwerken und geschweiften Dachungen; die sehr reichen Formen in farbiger Durchführung (Porzellanturm zu Nanking). 4. Der israelitische Tempel zu Jerusalem, erbaut von König Salomo (1000 v. Chr.) und im I Alten Testament (2. Chron. Kap. 3, 4, Ezechiel Kap. 40 bis 42) eingehend beschrieben, bestand aus dem Tempelhaus,[515] umgeben von mehreren Höfen. Dieser durch die Assyrer zerstörte Tempel wurde durch König Herodes (geb. 73 v. Chr.) größer und prächtiger wieder aufgebaut und mit drei terrassenförmig aufsteigenden und mit Säulenhallen geschmückten Vorhöfen umgeben. Nach der Zerstörung unter Kaiser Titus (70 u. Chr.) wurde er nicht wieder aufgebaut.

Von Tempeln der Griechen und Römer sind uns noch zahlreiche Reste erhalten und deren ursprüngliche Gestalt durch reiches Studienmaterial ([4] und [5]) bekannt. – Der eigentliche Tempel war eine Cella oder der Naos von mittlerer Größe zur Aufstellung des Götterbildes. Die wichtigsten Opferungen fanden nicht im Tempel, sondern auf einem Altar statt, der vor dem Tempel stand. Vor der länglich viereckigen Cella lag die säulengetragene Vorhalle entweder zwischen Stirnpfeilern (in antis) (Fig. 5) oder offen als Prostylos (Fig. 6), zuweilen an der Rückseite das Posticum (Amphiprostylos) (Fig. 7), wozu noch bei den größeren Tempeln das Opisthodomos zur Aufbewahrung der Tempelschätze trat (Parthenon in Athen). Eine reichere Gestaltung bildet der Peripteros (Fig. 8 und 9), bei welchem eine Säulenstellung rings um die Cellawand herumgeführt ist In dieser Gestaltung war die größte Zahl der Tempel erbaut. – In der Spätzeit erschien der Dipteros mit zwei Säulenreihen um die Cellawand (Zeustempel in Athen von Hadrian). Der Pseudoperipteros zeigt eine mit Halbsäulen verbundene Cellawand, wovon die wohlerhaltene Maison carrée zu Nîmes das glänzendste Beispiel darstellt (Fig. 10). Der Pseudodipteros ist nur von einer Säulenreihe umgeben, mit breitem Umgang zwischen Säulen und Wand. Hierher rechnet als ein hervorragendes Beispiel der Doppeltempel der Venus und Roma auf dem römischen Forum, von Kaiser Hadrian in riesigen Verhältnissen erbaut [8a]. Kleinere Tempel erhielten ihre Beleuchtung bloß durch die offenstehende Türe, während für große Tempel zu diesem Zweck eine größere Oeffnung in Dach und Decke angebracht war (Opaion). Diese Gattung bedingte aber eine so große Spannweite, daß die Decke durch zwei Reihen von Säulenstellungen, welche jede überdies noch eine obere Säulenstellung zu tragen hatten, gestützt werden mußte (Hypäthraltempel). Die Türe des Tempels befand sich stets an der Ostseite, und der Bau wurde durch ein Satteldach bedeckt, so daß sich zwei flache, meist reich mit Figuren geschmückte Giebel bildeten (Fig. 9). Tempel, die außerhalb der Städte errichtet wurden, pflegte man mit einem geheiligten Bezirk (Temenos) zu umgeben, welcher durch ein Prachttor (Propylaion) zugänglich gemacht wurde. Eine abweichende Form bilden die römischen Rundtempel, meist von geringem Durchmesser, z.B. die dem Vestadienst geweihten Tempel zu Rom und Tivoli. Doch zählt hierher auch einer der großartigsten Bauten aller Zeiten, das Pantheon zu Rom, mit einem inneren Durchmesser von 43 m und gleicher Höhe (erbaut 26 v. Chr.), um 600 n. Chr. in eine christliche Kirche umgewandelt (vgl. Bd. 5, S. 789, und Bd. 6, S. 636), noch heute in der bewunderungswerten Wirkung seines Kuppelraums angestaunt [6], In heutiger Zeit werden die Synagogen der Juden auch Tempel genannt; ebenso in Frankreich die Kirchen der Protestanten.


Literatur: Vgl. die Werke [1]–[5] unter Baustil. Außerdem: [6] Rode, A., M. Vitruvius Pollio Baukunst, Leipzig 1796. – [7] Stieglitz, Archäologie der Baukunst der Griechen und Römer, Weimar 1801. – [8] Egle, J. v., Prakt. Baustil- und Bauformenlehre, Stuttgart, a) Abt. V Taf. 41–44; b) Abt. V, Taf. 34 und 35.

Weinbrenner.

Fig. 1.
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Fig. 2.
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Fig. 3.
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Fig. 4.
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Fig. 5., Fig. 6., Fig. 7.
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Fig. 8.
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Fig. 9., Fig. 10.
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Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 515-517.
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