Fernwirkung

[449] Fernwirkung. 1) Durch unsre Muskelkraft können wir einen Körper nur in Bewegung setzen, indem wir ihn direkt berühren oder unter Vermittelung einer Stange, Schnur, Hebevorrichtung u. dgl. Unvermittelte Kraftwirkung in die Ferne ist uns unmöglich und deshalb unbegreiflich. Damit ist nicht bewiesen, daß sie überhaupt unmöglich sei. So betrachtet man z. B. die Gravitation, die elektrostatische und magnetische Kraft gewöhnlich als unvermittelte Fernwirkung. Seit indes Hertz bewiesen hat, daß die letztern Kräfte sich nicht momentan in jeder Entfernung geltend machen, sondern eine gewisse Zeit verfließt, bis die Wirkung an einer bestimmten Stelle des Raumes angelangt ist, was nur verständlich erscheint unter der Annahme, daß die Wirkung durch ein den Raum erfüllendes Medium (Äther) übertragen werde, mehren sich die Versuche, zu beweisen, daß auch die Gravitation keine direkte F. sei.[449]

2) Chemische Fernwirkung. Amalgamiertes Zink wird von verdünnten Säuren nicht angegriffen, umwickelt man es dagegen mit einem Platindraht, so erfolgt in der Säure alsbald Auflösung unter Entwickelung von Wasserstoff. In Lösungen von Neutralsalzen wird auch mit Platin armiertes Zink nicht gelöst, setzt man aber einige Tropfen einer Säure, z. B. Schwefelsäure, zu der Flüssigkeit, so erfolgt wieder Lösung. Das Platin wirkt bereits, wenn es nur an einem Punkte mit dem Zink in Berührung steht. Bildet man aus Zink und Platin einen Bügel, dessen beide Arme so in eine Lösung von Kaliumsulfat getaucht werden können, daß die Flüssigkeitsteile, die beide Arme umgeben, durch eine poröse Scheidewand voneinander getrennt sind, so löst sich das Zink nur dann merklich, wenn die das Platin umgebende Lösung sauer gemacht wird; das Ansäuern der das Zink umgebenden Kaliumsulfatlösung hat keine Wirkung; der Wasserstoff erscheint am Platin. Ähnliches Verhalten zeigen Kadmium, Zinn, Aluminium und auch die widerstandsfähigern Metalle. Diese Erscheinungen stellen sich so dar, als übe das spezifische Auflösungsmittel der Metalle, wenn es beim Platin appliziert wird, seine Wirkung in die Ferne auf das fragliche Metall aus. Zink vermag nur auf die Weise in Lösung zu gehen, daß seine Atome als Ionen mit positiver elektrischer Ladung sich vom Metall loslösen. Durch den Austritt positiver Ionen wird das ursprünglich neutrale Zink negativ geladen und die Lösung positiv. Dies dauert, bis sich eine gewisse Potenzialdifferenz zwischen Metall und Lösung hergestellt hat; dann zieht das negative Metall so viel positive Ionen an, als durch die Lösungsspannung des Zinks in diese übergehen; es tritt Gleichgewicht ein, eine weitere Lösung erfolgt nicht. Die hierzu erforderlichen Metallmengen sind aber so gering, daß sie sich dem analytischen Nachweis entziehen. Verbindet man jetzt Platin mit dem Zink, so nimmt es dieselbe negative Ladung an wie das Zink, es zieht die positiven Ionen aus der Lösung an, und so wird das Gleichgewicht am Zink wieder aufgehoben, seine Lösungsspannung kommt zur Geltung. Das Zink wird sich immer weiter lösen, solange die positiven Ionen der Lösung von dem gleichfalls negativen Platin angezogen werden. Von der Natur des positiven Ions und von der des Metalls wird es abhängen, ob das letztere die ihm hier zugeschriebene Wirkung äußern kann, ob das Ion seine Elektrizität an das Metall abgeben kann. Ist das Ion das Kalium des Kaliumsulfats, das die Elektrizität sehr fest hält, so wird kein Übergang der Elektrizität stattfinden. Ersetzt man aber das Kaliumsulfat am Platindraht durch Schwefelsäure, so ist die vorhandene Potenzialdifferenz ausreichend, um die Wasserstoff-Ionen der Säure zu zwingen, ihre elektrischen Ladungen abzugeben, worauf diese in der Gestalt von gewöhnlichem Wasserstoff entweichen. Durch die Vereinigung ihrer positiven Elektrizität mit der negativen des Platins wird dieses und somit auch das Zink entladen, und es vermag infolge seines verminderten negativen Potentials neue positive Ionen zu entsenden, sich aufzulösen, und der Vorgang setzt sich fort, solange noch metallisches Zink oder Wasserstoff-Ionen zur Verfügung stehen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 449-450.
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