Hertz

[239] Hertz, 1) Henrik, dän. Dichter, geb. 27. Aug. 1797 (1798) in Kopenhagen, gest. daselbst 25. Febr. 1870, wurde nach dem frühen Tode seiner Eltern von dem bekannten Großhändler Nathanson erzogen, wo seine früh erwachende Neigung zur Poesie und Kunst reiche Nahrung fand, studierte die Rechte, wandte sich aber später ganz der literarischen Tätigkeit zu. 1833 unternahm er mit öffentlicher Unterstützung eine Reise durch Deutschland, Italien, die Schweiz und Frankreich, erhielt nach seiner Rückkehr den Professortitel und vom Reichstag eine jährliche Pension. Als Dichter gehört H. zu der Schule Heibergs, mit dessen Kreis er sein ganzes Leben lang verbunden war. Seine theoretischen Ansichten von der Bedeutung der Form in der Kunst, dem Stofflichen gegenüber, sprach er in seinen berühmten, Baggesen täuschend nachgeahmten »Gjengangerbreve« (1830) aus, einer Reihe von Reimbriefen, durch die er an dem Streit zwischen Heiberg und Öhlenschläger teilnahm und auf die ästhetische Richtung der Zeit bedeutsam einwirkte. Diese Theorie brachte er dann in seinen zahlreichen eignen Dichtungen praktisch zur Anwendung. Sein Hauptsach war das dramatische; in allen Zweigen der Bühnendichtung hat er, an Holberg anknüpfend, Vorzügliches geleistet. Er schrieb treffliche Vaudevilles, wie: »Herr Burkardt und seine Familie« (1827), »Die Debatte im Polizeifreund«, einem Kopenhagener Lokalblatt (1835), »Der Tiergarten der Armen« etc.; ferner Lustspiele mit aus dem Leben gegriffener Handlung, wie »Amors Geniestreiche« (1830) und »Der einzige Fehler« (1836), sein und anmutig in gereimten Versen abgefaßt, das Charakterlustspiel »Emma« (1832), »Die Sparkasse« (1836; deutsch, Leipz. 1879), »Eine Kurmethode« (1861) u. a.; endlich Schauspiele, wie: »Ninon de l'Enclos« (1848; deutsch von Thaulow, Leipz. 1852; von Laeisz, Hamb. 1890), »Tonietta« (1849), »Der Jüngste« (1854) etc.; romantische Schauspiele in Versen, darunter namentlich das allbekannte »König Renés Tochter« (1845), das fast alle Bühnen überschritt und zehnmal ins Deutsche übersetzt wurde (z. B. von Leo, 14. Aufl., Leipz. 1884); »Svend Dyrings Haus« (1837; deutsch von Leo, das. 1848) und »Waldemar Atterdag« (1839), worin den Volksliedern entlehnte Stoffe in eigentümlichem, wirkungsvollem Versmaß auf die Bühne gebracht werden. Herrschaft über die dramatische Technik, geistvoller, frischer Witz, trefflich gezeichnete Gestalten und eine ganz besondere Gabe der Kopenhagener Lokaleigentümlichkeit einen humorvollen Ausdruck zu geben, charakterisieren diese dramatischen Dichtungen. Auch hat H. eine große Anzahl durch schöne Form und ansprechenden Inhalt ausgezeichneter Gedichte (»Digte«, 1851–62, 4 Bde.), einige Novellen sowie zwei größere Zeitbilder: »Stimmungen und Zustände« (1839) und »Johannes Johnsen« (1858–59), verfaßt. Seine »Dramatiske Värker« erschienen 1854–73 in 18 Bänden, »Breve til og fra H.« 1897.

2) Martin, Philolog, geb. 7. April 1818 in Hamburg, gest. 22. Sept. 1895 in Breslau, studierte seit 1835 in Berlin und Bonn, habilitierte sich 1845 in Berlin, durchreiste, wesentlich zur Durchforschung der Handschriften des Gellius u. Priscian, 1845–47 Süddeutschland, Holland, Belgien, Frankreich, die Schweiz, Italien und wurde 1855 ordentlicher Professor der klassischen Philologie in Greifswald, 1862 in Breslau; er trat 1893 in den Ruhestand. Seine beiden Hauptwerke sind die kritischen Ausgaben des Priscian (Leipz. 1855–59, Bd. 2 u. 3 von Keils »Grammatici latini«) und des Gellius (Berl. 1883–85, 2 Bde.; Textausgabe Leipz. 1853, 2 Bde.; 2. Aufl. 1886; dazu »Opuscula Gelliana«, lat. u. deutsch, Berl. 1886, und »Supplementum apparatus Gelliani«, Leipz. 1894). Sonst nennen wir: »Sinnius Capito« (Berl. 1844); »De P. Nigidii Figuli studiis atque operibus« (das. 1845); »K. Lachmann, eine Biographie« (das. 1851), sowie Rezensionen des Livius (Leipz. 1857–64, 4 Bde.) und Horaz (Berl. 1892).[239]

3) Wilhelm Ludwig, Buchhändler, geb. 26. Juni 1822 in Hamburg, gest. 5. Juni 1901 in Berlin, errichtete 1847 in Berlin eine Verlagsbuchhandlung, mit der er die käuflich erworbene Sortiments- und Antiquariatsbuchhandlung von Wilh. Besser (gegründet 1829 von H. Eichler) vereinigte. Seit 1875, in welchem Jahre sein Sohn Hans H. (geb. 19. April 1848, gest. 15. Okt. 1895) als Teilhaber eintrat, pflegte die Firma »Bessersche Buchhandlung (W. Hertz)« nur noch die Verlagstätigkeit, die gediegene wissenschaftliche und belletristische Erscheinungen umfaßt (sämtliche Werke von R. Lepsius, Paul Heyse, Gottfr. Keller, Julian Schmidts »Geschichte der deutschen Literatur«, Werke von Beneke, Niebuhr, Schlözer, Wattenbach, E. Curtius, H. Grimm etc.). Im August 1901 ging der gesamte Verlag in den Besitz der Cottaschen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart über.

4) Wilhelm, Dichter und Literarhistoriker, geb. 24. Sept. 1835 in Stuttgart, gest. 8. Jan. 1902 in München, widmete sich zuerst der Landwirtschaft, studierte dann in Tübingen romanische und germanische Philologie und ging 1858 nach München, wo er sich dem Dichterkreis von Geibel, Heyse, Bodenstedt, Lingg etc. anschloß. Bald veröffentlichte er seine lebensfreudigen, glühenden und formell schönen »Gedichte« (Hamb. 1859). 1859 trat er als Leutnant in das württembergische Heer ein, nahm jedoch bald wieder seinen Abschied und machte eine größere wissenschaftliche Reise durch Frankreich, England und Schottland. Nach München 1861 zurückgekehrt, habilitierte er sich 1862 mit der Abhandlung »Der Werwolf, ein Beitrag zur Sagengeschichte« (Stuttg. 1861) als Privatdozent an der dortigen Universität und ward 1869 Professor der Literaturgeschichte am Polytechnikum daselbst. In seinen weitern Dichtungen, den kleinern Epen: »Lanzelot und Ginevra« (Hamb. 1860), »Hugdietrichs Brautfahrt« (Stuttg. 1863, 3. Aufl. 1880; illustriert von A. v. Werner, das. 1872), »Heinrich von Schwaben« (das. 1868, 3. Aufl. 1903), »Bruder Rausch. Ein Klostermärchen« (das. 1882, 4. Aufl. 1902), hat er die mittelalterlichen Stoffe graziös und formgewandt behandelt. Seine »Gesammelten Dichtungen« erschienen Stuttgart 1900 (2. Aufl. 1904). Als Forscher veröffentlichte er noch die Schriften: »Deutsche Sage im Elsaß« (das. 1872), »Die Nibelungensage« (Berl. 1877) und »Die Sage vom Parzival und dem Gral« (Bresl. 1882), »Aristoteles in den Alexander-Dichtungen des Mittelalters« (Münch. 1890), »Die Sage vom Giftmädchen« (das. 1893). Eine vorzügliche Leistung war seine Neubearbeitung von »Tristan und Isolde« von Gottfried von Straßburg, nach den Tristanfragmenten des Trouvère Thomas ergänzt (Stuttg. 1877, 4. Aufl. 1904), nicht ganz so gut gelungen die Übersetzung des »Parzival« von Wolfram v. Eschenbach (das. 1898, 3. Aufl. 1903). Außerdem lieferte er eine Reihe gelungener Nachbildungen altfranzösischer Dichtungen: »Rolandslied, das älteste französische Epos« (Stuttg. 1861), »Marie de France. Poetische Erzählungen nach altbretonischen Liebessagen« (das. 1862), »Aucassin und Nicolette« (Wien 1865) und »Spielmannsbuch«, Novellen in Versen aus dem 12. u. 13. Jahrh. (das. 1886, 2. Aufl. 1900). Vgl. R. Weltrich, Wilhelm H. (Stuttg. 1902).

5) Heinrich, Physiker, geb. 22. Febr. 1857 in Hamburg, gest. 1. Jan. 1894 in Bonn, studierte seit 1875 Ingenieurwissenschaften und seit 1878 Physik in Berlin, wo er 1880 Assistent von Helmholtz wurde. 1883 habilitierte er sich in Kiel als Privatdozent für theoretische Physik, 1885 wurde er Professor. der Physik an der Technischen Hochschule in Karlsruhe und 1889 Nachfolger von Clausius in Bonn. H. bearbeitete besonders die elektrischen Erscheinungen und untersuchte 1887 und 1888 den Zusammenhang zwischen Licht und Elektrizität und die Erzeugung von Ätherwellen von großer Wellenlänge. Durch scharfsinnig erdachte Anordnungen erzeugte er elektrische Schwingungen von höherer Schwingungszahl, als bisher gelungen war, und wies nach, daß sich diese als elektromagnetische Wellen oder als »Strahlen elektrischer Kraft« mit derselben Geschwindigkeit durch den Raum fortpflanzen wie das Licht, an Spiegeln zurückgeworfen, durch Prismen gebrochen werden und Polarisationserscheinungen zeigen nach denselben Gesetzen wie die Lichtstrahlen. Durch diese denkwürdigen Experimente wurde die bisher herrschende Theorie der momentanen Fernwirkung widerlegt, die Faraday-Maxwellsche Theorie der zeitlichen Fortpflanzung der elektrischen und magnetischen Kräfte zum endgültigen Siege geführt und insbes. die mechanisch-elastische Lichttheorie durch Maxwells elektromagnetische Lichttheorie verdrängt. Danach sind die Lichtwellen elektromagnetische Wellen von sehr kurzer Wellenlänge, und es ergibt sich ein inniger Zusammenhang zwischen den bisher getrennten Gebieten der optischen und der elektromagnetischen Erscheinungen. Von H.' gesammelten Werken (Leipz. 1894, 3 Bde.) enthält Band 1 Schriften vermischten Inhalts, insbes. auch die auf der Naturforscherversammlung zu Heidelberg (1889) gehaltene Rede: »Über die Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität«; Bd. 2 (2. Aufl. 1894); »Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft«; Bd. 3 (hrsg. von Lenard); »Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt«. Vgl. Planck, Gedächtnisrede (Leipz. 1894).

6) Alfred, Musikdirigent, geb. 15. Juli 1872 in Frankfurt a. M., erhielt daselbst am Hochschen Konservatorium seine Ausbildung, bekleidete nacheinander Kapellmeisterstellungen in Halle a. S., Altenburg, Elberfeld und Breslau und ist seit 1902 Kapellmeister an der Metropolitan Opera zu New York. H. leitete 1903–04 die New Yorker Parsifal-Aufführungen, die ersten außerhalb Bayreuths stattfindenden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 239-240.
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