Niebuhr

[628] Niebuhr, 1) Karsten, Reisender, geb. 17. März 1733 zu Lüdingworth in Hannover, gest. 26. April 1815 in Meldorf (Holstein), studierte in Göttingen Mathematik, wurde 1760 dänischer Ingenieurleutnant und unternahm 1761–67 im Auftrag der dänischen Regierung eine Reise nach Arabien, Persien und den Nachbarländern, die er nach dem Tod aller seiner Gefährten allein fortsetzte. Seit 1778 lebte er als königlicher Justizrat und seit 1808 als Etatsrat in Meldorf. Er veröffentlichte die noch heute wichtigen Werke »Beschreibung von Arabien« (Kopenh. 1772) und »Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern« (das. 1774–78, 2 Bde.; dazu Bd. 3: »Reisen durch Syrien und Palästina«, hrsg. von Olshausen, Hamb. 1837) und gab den Nachlaß seines Reisegefährten Forskal heraus: »Descriptiones animalium etc.« (Kopenh. 1775); »Flora aegyptiaco-arabica« (das. 1776) und »Icones rerum memorabilium etc.« (das. 1776). Sein Leben beschrieb sein Sohn Barthold Georg N. (Kiel 1817).

2) Barthold Georg, Staatsmann und Geschichtsforscher, Sohn des vorigen, geb. 27. Aug. 1776 in Kopenhagen, gest. 2. Jan. 1831 in Bonn, studierte 1794–96 in Kiel, war bis 1798 Privatsekretär des Grafen Schimmelmann in Kopenhagen und setzte 1798–99 seine Studien in London und Edinburg fort. Seit 1800 in dänischem Staatsdienst und seit 1804 Bankdirektor, begab er sich 1806 auf Einladung des Ministers vom Stein in preußischen Staatsdienst und wurde als Geheimer Staatsrat zu verschiedenen außerordentlichen Geschäften, hauptsächlich finanzieller Art, verwendet, hielt, wegen eines Zerwürfnisses mit Hardenberg auf einige Zeit von den öffentlichen Geschäften entbunden, 1810–12 Vorlesungen über römische Geschichte an der neuerrichteten Berliner Universität, leistete seit 1813 wieder dem Staat Dienste und ging 1816 als Gesandter zu Unterhandlungen mit der päpstlichen Kurie nach Rom. Nachdem er hier 1821 die Vereinbarung, deren Ergebnis die Bulle »De salute an imarum« war, zustande gebracht hat le (vgl. Köln [Erzstift], S. 274), bat er 1823 um seine Entlassung und lebte nun mit geringen Unterbrechungen in Bonn, wo er, der Universität »frei verbunden«, mit dem größten Beifall Vorlesungen hauptsächlich über die alte Geschichte, aber auch über die Geschichte der neuesten Zeit hielt. N. verband mit einer außerordentlichen Gelehrsamkeit (sein Vater hat einmal 20 Sprachen aufgezählt, die er verstand), Scharfsinn und schöpferische Phantasie; er erwarb sich durch seine Gewissenhaftigkeit und unbestechliche Wahrheitsliebe in allen seinen amtlichen Stellungen große Anerkennung; ein bleibenderer Ruhm aber knüpft sich an seine schriftstellerischen Leistungen. Sein Hauptwerk ist die aus jenen in Berlin gehaltenen Vorlesungen hervorgegangene »Römische Geschichte« (Berl. 1811–32, 3 Bde., der dritte hrsg. von J. Classen; Bd. 1 in 4. Aufl 1833; Ausg. in 1 Bd., 1853; neue Ausg. von Isler, das. 1873–74, 3 Bde.), die bis zum ersten Punischen Krieg einschließlich reicht: durch bis dahin unbekannte Quellenkritik und Kombination stellt er aus den Trümmern der Überlieferung ein deutliches Bild von der Entwickelung des römischen Volkes her, und wenn sich auch seine Resultate im einzelnen vielfach als nicht haltbar erwiesen haben, so hat er doch viele wesentliche Grundwahrheiten der römischen Geschichte festgestellt und namentlich durch seine Methode für die Geschichtsforschung überhaupt bahnbrechend gewirkt. Außerdem hat er der Wissenschaft durch zahlreiche Abhandlungen historischen und philologischen Inhalts (Sammlung derselben, Bd. 1, Bonn 1828; Bd. 2, das. 1843), durch die Entdeckung und Entzifferung verloren gegangener Schriftwerke des Altertums (des Gajus, der Fragmente des Cicero und des Merobaudes), durch seine Beiträge zu Bunsen-Platners »Beschreibung Roms« (Stuttg. 1830–1842, 3 Bde.), durch die Anregung zur Gründung des »Rheinischen Museums« und zur Herausgabe der Byzantiner und durch seine Beteiligung bei beiden Unternehmungen wesentliche Dienste geleistet. Seine politischen und staatswirtschaftlichen Schriften, in denen er als warmer Freund der Freiheit, aber als Gegner der nicht aus einer geschichtlichen Entwickelung hervorgegangenen Konstitutionen erscheint, sind in der Sammlung seiner »Nachgelassenen Schriften nichtphilologischen Inhalts« (Hamb. 1842) erschienen. Seine in Bonn gehaltenen Vorträge über römische Geschichte (Berl. 1846--48, 3 Bde.), über alte Geschichte mit Ausschluß der römischen (das. 1847–51, 3 Bde.), über alte Länder- und Völkerkunde (das. 1851), über römische Altertümer (das. 1858) und über das Zeitalter der französischen Revolution (Hamb. 1845) sind aus nachgeschriebenen Heften herausgegeben worden. Sehr bekannt wurden auch die »Griechischen Heroengeschichten, seinem Sohn erzählt« (Hamb. 1842; 9. Aufl., Gotha 1884; Prachtausg. mit Zeichnungen von L. Preller, das. 1880). Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Geschichtschreiber« (Bd. 7). Vgl. »Lebensnachrichten über Barth. Georg N., aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde« (von Dorothea Hensler, Hamb. 1838–39, 3 Bde.); Classen, Barthold Georg N., eine Gedächtnisschrift (Gotha 1876); Eyssenhardt, Barthold Georg N. (das. 1886).

3) Markus Carsten Nikolaus von, Sohn des vorigen, geb. 1. April 1817 in Rom, gest. 1. Aug. 1860 in Oberweiler bei Badenweiler, studierte die Rechte. redigierte 1848–49 den reaktionären »Magdeburger Korrespondenten«, ward 1850 Regierungsrat, 1851 Kabinettsrat Friedrich Wilhelms IV., den er mit Gerlach im Sinne der Rückschrittspartei beeinflußte, und 1855 geadelt; da der berüchtigte Depeschendiebstahl[628] (1855) hauptsächlich geheime Papiere betraf, die N. anvertraut gewesen waren, verfiel er 1857 in Geisteskrankheit. Er ist literarisch besonders durch seine »Geschichte Assurs und Babels« (Berl. 1858) bekannt, in der er die Übereinstimmung der neuern Forschungen mit der Bibel nachzuweisen suchte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 628-629.
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