Reisebeschreibung

[765] Reisebeschreibung, die literarische Darstellung der Beobachtungen und Erlebnisse eines Reisenden, die einen sehr verschiedenen Inhalt und Wert haben, je nach dem Zwecke, zu dem Reisen (s. d.) unternommen wurden. Zu den ältesten Werken dieser Art gehören die des Skylax von Karyanda und des Karthagers Hanno. Es waren Seereisen, Küstenumfahrten, sogen. Periploi, die späterhin, ausschließlich für Seeleute bestimmt, rein praktischen Zwecken dienten. Sonst halten sich die griechischen Reisebeschreibungen in dem Rahmen länder- und völkerkundlicher Darstellungen. Eine besondere Gruppe bilden die Periegesen, die in der Form eines Reiseführers die Merk- und Sehenswürdigkeiten der einzelnen Orte eines Landes beschreiben (Polemon, Pausanias). In der römischen Literatur gibt es eigentliche Reisebeschreibungen nicht. Die Itineraria sind nur trockne Verzeichnisse von Stationen und Straßenzügen, ähnlich unsern Kursbüchern. Auch aus dem frühen Mittelalter sind uns nur wenige und dazu sehr ungenügende Reisebeschreibungen erhalten. Dagegen hat die jüdische und arabische Literatur des Mittelalters eine ganze Reihe von Reisewerken aufzuweisen, wie die der Araber Massudi, Ibn Batuta, Leo Africanus, Alberuni, des Juden Benjamin von Tudela u. a. Sie sind sämtlich wichtige Quellen für die Kunde von Ländern, die noch heute dem Europäer schwer zugänglich sind. Für die Kenntnis Ostasiens sind die Reisen buddhistischer Priester, solcher wie Faheang (Fahien) und besonders Hiuenthsang (Hiwentsang) wichtig. Zentralasien wurde durch die Gesandtschaft des Papstes an Dschengis-Chan (1246) unter Piano di Carpine näher bekannt. Und als durch die Mongolen ein geordneter Überlandverkehr bis nach Peking entstand, konnte der Florentiner Handlungs reisende Balducci Pegolotti 1376 über die hier verfolgte Straße berichten. Das spätere Mittelalter lieferte zahlreiche Berichte über das seit den Zeiten der Kreuzzüge vielbesuchte Heilige Land, so von Borchard, Felix Fabri u. a., die zum Teil in Feyerabends »Reyssbuch dess Heyligen Landes« (Frankf. 1584) gesammelt wurden (vgl. Tobler, Bibliographia geographica Palaestinae, Leipz. 1867; Röhricht und Meisner, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, herausgegeben und erläutert, Berl. 1880; Röhricht, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Gotha 1889, und Röhrichts »Bibliotheca geographica Palaestinae«, Berl. 1890). Gegen Ende des Mittelalters veranlaßte der Handelsgeist der Venezianer zur Abfassung von Reisewerken, darunter das des Venezianers Marco Polo (s. d.). Dagegen sind die Reiseberichte der Gebrüder Zeno wie die Mandevilles erdichtet. Seit Erfindung der Buchdruckerkunst wuchs die Reiseliteratur bald massenhaft an, nachdem die Entdeckung Amerikas und die Expeditionen der Portugiesen nach dem Indischen Ozean der Forschung neue und weite Gebiete eröffnet hatten. So entstanden im 16. Jahrh. die Reisewerke von Huttich und Grynäus (1532), Ramusio (1550 ff.), De Bry und Merian (1590–1634), Hakluyt (1598 ff.). Auch die Beschreibungen der Reisen deutscher Fürsten und Adligen aus dieser Zeit sind hier zu erwähnen, obschon sie einen wesentlich andern Charakter hatten (s. Reisen, S. 768).

In der Mitte des 17. Jahrh. erhielten die Reisebeschreibungen neue Nahrung durch den großartigen Aufschwung des Handels. Mit den Engländern behaupteten Deutsche, Franzosen, Nordamerikaner, Holländer und Russen in der wissenschaftlichen Reiseliteratur den ersten Platz. Die in fremden Sprachen verfaßten Berichte nichtdeutscher Forscher wurden dem deutschen Publikum in guten Übersetzungen zugänglich gemacht, bisweilen gleichzeitig mit dem Originalwerk. Unter den Deutschen nimmt A. v. Humboldt unzweifelhaft den ersten Rang ein. Von den modernen wissenschaftlichen Reisenden hat so ziemlich jeder auch eine literarische Darstellung geliefert. Bald sind solche Reisebeschreibungen in die rein wissenschaftlich gehaltene Betrachtung des betreffenden Landes hineingeflochten, bald erscheinen sie getrennt von ihr als besondere, selbständige Werke, die oft in formvollendeter Darstellung und mit trefflichen Bildwiedergaben auch für einen weitern Leserkreis berechnet sind (s. die einzelnen Länderartikel). Neben der wissenschaftlichen R. entwickelt sich mit der Vervollkommnung der Verkehrsmittel in neuerer Zeit eine andre, die in mehr bekannten oder selbst völlig zivilisierten Ländern die Schönheiten der Natur, die sozialen und politischen Verhältnisse behandelt oder die persönlichen Erlebnisse des Reisenden in mehr oder weniger belletristischer Form darstellt. Auf diesem Gebiet haben sich von Deutschen namentlich ausgezeichnet: Kohl, Gerstäcker, Fallmerayer, Stahl, Schmarda, v. Scherzer, v. Maltzan, Vambéry, Willkomm, Gregorovius, v. Löher, Rodenberg, Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este u. a. Endlich ist noch auf jene Werke hinzuweisen, die durchaus Produkte der Phantasie, aber in das Gewand einer R. gekleidet sind: die[765] sogen. Robinsonaden und die fingierten naturwissenschaftlichen Reisebeschreibungen, wie sie neuerdings J. Verne mit Erfolg gepflegt hat. Um die Forschungen und Erfahrungen der Reisenden dem Volk mehr zugänglich zu machen, hat man in Deutschland schon früh die Reiseberichte der Forscher aller Länder in Übersetzungen und Bearbeitungen zu größern Sammelwerken vereinigt. Solche sind: »Sammlung der besten und ausführlichsten Reisebeschreibungen« (Berl. 1764–1803, 35 Bde.); G. Forster, »Neue Geschichte der Land- und Seereisen« (Hamb. 1789–1808, 19 Bde.); »Bibliothek der neuesten Reisebeschreibungen« (Berl. 1780–90, 10 Bde.); »Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen« (das. 1790 bis 1839, 39 Bde.); besonders aber Sprengel und Ehrmann, »Bibliothek der neuesten Reisebeschreibungen« (Weim. 1800–14, 50 Bde.), und daran anschließend Bertuch, »Neue Bibliothek der Reisebeschreibungen« (das. 1814–35, 65 Bde.); ferner Widemann und Hauff, »Reisen und Länderbeschreibungen« (Stuttg. 1835–60, 44 Bde.), und aus neuerer Zeit die »Bibliothek geographischer Reisebeschreibungen und Entdeckungen« (Jena 1868–92, 15 Bde.). Sammlungen von Auszügen aus Reisebeschreibungen sind: Schöppners »Hausschatz der Länder- und Völkerkunde« (3. Aufl., Leipz. 1876, 2 Bde.), Spamers »Buch der Reisen« und »Neues Buch der Reisen«, Falkenhorsts »Bibliothek denkwürdiger Forschungsreisen« (Stuttg. 1890–91, 12 Bde.) u. a. In England gibt die Hakluyt Society ältere Reisebeschreibungen heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 765-766.
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