Heufieber

[292] Heufieber (Heuasthma, Herbstfieber, Bostockscher Katarrh, Catarrhus aestivus), ein unter fieberhaften Erscheinungen verlaufender, sehr heftiger Schnupfen, der vorzugsweise zur Zeit der Heuernte (Mai, Juni) aufzutreten pflegt. Als Ursache nimmt man eine in den Pollenkörnern blühender Grasarten enthaltene, auf manche Menschen giftig wirkende Substanz an, die durch Einatmung des Pollens auf die Schleimhäute gelangt. In Amerika hat man für das dort beobachtete H. (autumnal catarrh) die Pollen der zu dieser Zeit blühenden Ambrosia artemisiaefolia, in Europa hauptsächlich den Pollen des Ruchgrases (Anthoxanthum odoratum), eines der besten Futtergräser, als Ursache angeschuldigt. In Norddeutschland scheinen die Pollenkörner des Roggens, mit dessen Blütezeit das Auftreten der Erkrankung zusammenfällt, vorzugsweise die Erreger des Heufiebers zu sein. Das H. ist an sich eine gefahrlose, aus einer Reihe katarrhalischer Entzündungen bestehende, daher sehr lästige Krankheit. Sie beginnt in der Regel mit katarrhalischer Bindehautentzündung (starkes Tränen), dem ebensolche Nasenschleimhautentzündung (starkes Niesen), dann Rachen- und Bronchialkatarrh folgen. In schwereren Fällen findet sich starkes Fieber, große Mattigkeit, Unfähigkeit zu jeder Beschäftigung, starkes Asthma. Das H. befällt nur manche besonders disponierte Individuen, vorwiegend Angehörige der gebildeten Stände, männliche Personen viel häufiger als weibliche. Neurasthenische Veranlagung und rege geistige Tätigkeit scheinen der Entwickelung dieser individuellen Disposition, deren Wesen nicht bekannt ist, günstig zu sein. Den Beweis für die ursächliche Bedeutung der Pollenkörner lieferte Dunbar, indem er aus den Pollen eine wasserlösliche giftige Substanz darstellte, die, auf die Schleimhäute (der Nase, der Bindehaut) von disponierten Menschen oder Tieren gebracht, zu jeder Jahreszeit binnen kürzester Zeit H. auslöst, während nicht disponierte Individuen völlig gesund bleiben. Einspritzung des Giftes unter die Haut bringt sehr schweres H. hervor. Durch intravenöse Einspritzung des Pollengiftes bei Kaninchen gelang es, ein Heilserum (Pollanthin) gegen H. herzustellen, das, wenn es an H. erkrankten Menschen unter die Haut eingespritzt wird, Abkürzung des schon begonnenen Anfalles oder eine (nicht dauernde) Unempfänglichkeit gegen neue Anfälle bewirkt. Die Vergänglichkeit des Schutzes und die schmerzhafte Schwellung der Injektionsstelle stehen dieser Art von Immunisierung zurzeit noch im Wege. Auf die Nasenschleimheit oder die Augenbindehaut[292] gebracht, wirkt das Serum günstig auf den Verlauf der Krankheit ein. Die übrige Behandlung ist teils eine örtliche und besteht in Bepinselung der Nasenschleimhaut mit 5–10proz. Kokaïnlösung oder mit 5proz. Borglyzerinlösung, oder in Einatmung von Menthol-, Ammoniak- und andern Dämpfen, teils ist sie eine allgemeine auf Abhärtung abzielende (kalte Waschungen). In hartnäckigen Fällen hilft Aufenthalt im Seeklima. Vgl. Blackley, Hay fever (2. Aufl., Lond. 1880); Jurasz, Reflexneurosen, in Heymanns »Handbuch der Laryngologie und Rhinologie«, Bd. 3 (Wien 1900); Dunbar, Zur Ursache und spezifischen Heilung des Heufiebers (Münch. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 292-293.
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