Roggen

[52] Roggen (Secale L.), Gattung der Gramineen, Gräser mit vierseitiger, dichter, nickender Ähre, zweiblütigen Ährchen und pfriemenförmigen, rauh gekielten Hüllspelzen, die nur halb so lang sind wie die Deckspelzen, von denen die äußere auf der Spitze eine mäßig lange Granne trägt. Zwei Arten: S. fragile Bieberst., einjährig, mit langen, die Deckspelzen weit überragenden Grannen der Hüllspelzen, wächst in den Sandsteppen Ungarns und Südrußlands. S. cereale L. (s. Tafel »Getreide I«, Fig. 1), 2 m hoch, mit nur pfriemlich zugespitzten, nicht begrannten, die Deckspelzen nicht überragenden Hüllspelzen. Die Stammart der Kulturform (S. montanum Guss.) wächst auf Gebirgen von Spanien und Marokko, durch Sizilien, Dalmatien, Serbien, Griechenland, Kleinasien, Armenien bis Mittelasien. Sie ist ausdauernd und hat eine brüchige Spindel. Beide Merkmale gingen durch die Kultur verloren, doch schlägt die Roggenstoppel bisweilen wieder aus, und im Gebiete der Donischen Kosaken wird ausdauernder R. als Winterfrucht kultiviert. Man unterscheidet gemeinen oder Landroggen und Staudenroggen, letzterer wahrscheinlich nur eine durch Begünstigung der Bestockung erlangte Varietät. R. akkommodiert sich leichter als andre Kulturgewächse den äußern Einflüssen, behält die erlangten Eigenschaften auf dem neuen Standort einige Jahre bei und wird dann dem Landroggen der Gegend gleich. Es gibt keine konstanten Roggenvarietäten, obgleich die meisten im Handel als solche angepriesen werden. Sommerroggen ist eine Kulturform des Winterroggens, und beide Formen lassen sich ineinander überführen. Zum gemeinen R. gehören unter andern: der Propsteiroggen aus der Propstei in Holstein, sehr ergiebig, für ausgesprochenen Roggenboden mit vorherrschendem Sandgehalt und nicht rauhes Klima; der Kampiner R. aus der Kampine Belgiens, ebenfalls für Sandboden; der römische R., der sehr genügsam im Boden sein soll; der spanische Doppelroggen für bindigern Boden; der Kleberroggen (Klebkorn, Spätkorn) vom Westerwald für Gebirgsgegenden mit rauherm Klima; der Schilfroggen, über 2 m hoch, mit sehr großen, aber lockern Ähren und langen Spelzen. Man baut den gemeinen R. als Winterkorn, soweit es das Klima zuläßt, als Sommerkorn auch auf sandigem, lockerm Boden, der frühzeitige Bestellung gestattet. Sommerkorn reist etwa 14 Tage später und gibt um ein Viertel weniger Korn und Stroh als Winterkorn; seine Körner sind kleiner, aber dünnschalig und mehlreich. Wo man mit Sicherheit Winterroggen baut, ist es stets ein Fehler, Sommerroggen zu säen. Staudenroggen fordert bessern Boden und zeitige Bestellung. Hierher gehören: der Johannisroggen, der, bereits im Juli gesät, im Herbst einen Futterschnitt und im folgenden Jahr eine Ernte gibt, der abessinische und Jerusalemer R. Den kleinkörnigen Winterstaudenroggen baut man im Gebirge auf Sandboden und frischem Waldboden. Sommerstaudenkorn eignet sich für rauheres Klima und nicht zu dürftigen Boden vorzüglich und gibt reiche Ernte, wenn auch das Mehl etwas geringer ist als das des Winterkorns. Vgl. die Artikel »Getreidebau, Futter und Fütterung«.

Tabelle

Die Asche des Roggens ist reich an Kali, Magnesia und Phosphorsäure. Der R. leidet von dem Roggenkornbrand (Tilletia secalis) und dem Roggenstengelbrand (Urocystis occulta), von zwei Rostpilzen, Puccinia graminis und P. straminis, auch vom Mehltau, weniger vom Rußtau. Sehr verbreitet ist der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea). Das Roggen- oder Kardenälchen (Anguillula dipsaci), das in einigen Gegenden endemisch ist, verursacht die Stockkrankheit. Die Unfruchtbarkeit der einzelnen Blüten wird durch die Gallmücke Cecidomyia tritici hervorgebracht. Die nicht seltene ganze oder (meist) teilweise Atrophie der Ähren wird gewöhnlich, aber mit Unrecht, der Kälte zugeschrieben. Die jungen Saaten leiden durch Bodennässe mehr als der Weizen. Im Ussurigebiet, in Schweden, auch an einigen Orten Deutschlands und in der Dordogne tritt in nassen Jahren giftiger R. (Taumelroggen) auf, dessen Eigenschaft wohl auf Pilze zurückzuführen ist, von denen er sich befallen zeigt.

R. ist die hauptsächlichste Getreidefrucht, das Korn. im nördlichen Europa, in Deutschland, Polen, Rußland, Skandinavien, Dänemark, Holland und Belgien; er wird in Europa und Asien vom 50.–60. und 65.°, in Norwegen bis 69,5°, in Nordamerika vom 40.–55.° nördl. Br. und in Mitteldeutschland bis 900 m Höhe kultiviert. Man benutzt ihn auch zur Mästung des Geflügels, in der Bierbrauerei und Spiritusfabrikation, zur Grütze und als Kaffeesurrogat; auch das Stroh, das geschätzteste aller Getreidesorten, findet vielfache Verwendung. Weder Inder noch Ägypter[52] kannten den R. Seine Kultur dürfte aus dem Umkreise des Kaukasusgebietes und aus den nördlichen Balkanländern ausgestrahlt sein. In Osteuropa tritt er nicht vor der Bronzezeit auf; die Griechen erhielten ihn aus Thrakien etc.; die Römer bauten ihn mit Weizen als Grünfutter an. Den Völkern Westeuropas war er in der frühern vorgeschichtlichen Zeit nicht bekannt. Schließlich hat er sich wenig über die germanischen und slawischen Volksgebiete hinaus verbreitet und nimmt einen weniger breiten Gürtel ein als der Weizen. S. die Karten »Landwirtschaft in Deutschland« (Bd. 4, S. 776) und »in Österreich-Ungarn« (Bd. 15, S. 180).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 52-53.
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