Holzbildhauerei

[501] Holzbildhauerei (Holzschnitzerei), die Kunst, plastische, d. h. runde und halberhabene Gegenstände aus Holz zu fertigen, wobei verschiedene Werkzeuge (Meißel, Bohrer, Stemmeisen, Raspeln, Sägen etc.) benutzt werden. Ursprünglich war jeder Bildhauer zugleich Holzschnitzer. Die ältesten Kultusbilder der Griechen und andrer Völker waren aus Holz geschnitzt. In Ägypten stand die H. zu allen Zeiten in hoher Blüte, was zahlreiche Funde lehren (s. Tafel »Bildhauerkunst I«, Fig. 5). Da im Altertum jedoch nur Kultuszwecke u. dgl. die Verwendung des Holzes bedingten, datiert der Anfang der H. in künstlerischem Sinn erst seit dem christlichen Mittelalter. Sie erstreckte sich zunächst auf Möbel für kirchlichen und weltlichen Gebrauch, deren Stil und Ornamentik durch die jeweilig herrschende Architektur (byzantinisch, romanisch, gotisch) bestimmt wurde. Am reichsten begann sich die H. an dem Chorgestühl der Kirchen zu entfalten, das dann in der Renaissanceperiode Gegenstand einer üppigen figürlichen und ornamentalen Dekoration wurde. In deutschen und italienischen Kirchen sowie in den Museen sind noch zahlreiche Beispiele von Chorgestühlen vorhanden, bei denen sich oft zu der H. noch Intarsia oder Holzmosaik gesellt. Daneben kommen geschnitzte Andachtsbilder (Madonnen [Tafel VIII, Fig. 2 u. 7], Heilige, Kalvarienberge) mit Baldachinen und Tabernakeln und besonders bemalte und vergoldete, oft sehr figurenreiche Altarschreine in Betracht. In Deutschland sind die beiden Syrlin (Chorgestühl im Münster zu Ulm), Veit Stoß (Tafel VIII, Fig. 6), Hans Brüggemann (Schleswiger Altar, Tafel VIII, Fig. 9), in Italien Giuliano und Benedetto da Majano, Baccio d'Agnolo, Stefano da Bergamo und die Familie de' Marchis die namhaftesten Holzbildhauer des 15. und 16. Jahrh. für kirchliche Zwecke. Um dieselbe Zeit wurden auch die profanen Möbel immer reicher gestaltet, und schließlich erstreckte sich die H. auf ganze Zimmerausstattungen (Täfelungen, Decken), wovon noch mehrere vollständig erhaltene Beispiele (Seidenhofzimmer im Landesmuseum zu Zürich, Fredenhagensches Zimmer in Lübeck, Hirschvogelhaus in Nürnberg, zwei Zimmer im Berliner Kunstgewerbemuseum) glänzendes Zeugnis ablegen. Andre Spezialitäten der H. waren in dieser Zeit Truhen, Bilderrahmen, Kunstschränke sowie Schmuckkästchen und Möbel jeglicher Gattung. Auch in der Barockzeit blühte die H., bis sie in der Rokokoperiode für Zimmerausschmückungen allmählich durch die Stuckdekoration verdrängt wurde. Neuerdings hat sie wieder einen Aufschwung genommen, wird aber meist als ein Zweig der Möbeltischlerei kultiviert. Nur in Italien, wo besonders Frullini (s. d.) für den künstlerischen Betrieb der H. durch Beispiel und Lehre viel getan hat, und in einigen Gebirgsländern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (Berner Oberland) ist die H. noch eine besondere, in hoher Blüte stehende Kunst. Vereinzelte Versuche, die H. wieder zur Kunst zu erheben, sind in neuerer Zeit auch von Tüshaus in Düsseldorf, Pfretzschner in Berlin, G. Busch in München und in größerm Umfang besonders von G. Riegelmann in Berlin gemacht worden. S. die Tafeln »Möbel I-III«. Vgl. J. Lessing, Holzschnitzereien des 15. und 16. Jahrhunderts (Berl. 1882) und Vorbilderhefte aus dem königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin (Heft 1–8 u. 17, das. 1888–95); Hefner-Alteneck, Ornamente der Holzskulptur[501] (Frankf. 1881–82); Stockbauer, Die Holzschnitzerei (Leipz. 1887); Paukert, Die Zimmergotik in Deutsch-Tirol (das. 1889–94); Metzger, Handbuch der H. (Weim. 1892); de Lostalot, Les arts du bois (3. Aufl. Par. 1893); B. Riehl, Geschichte der Stein- und Holzplastik in Oberbayern (Münch. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 501-502.
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