Notker

[817] Notker (spr. nōtkēr), Name mehrerer St. Galler Mönche, unter denen hervorragen: 1) N. Balbulus (»der Stammler«), geb. um 830 wahrscheinlich zu Jonswil im jetzigen Kanton St. Gallen, gest. 6. April 912 in St. Gallen, machte sich um den Kirchengesang hoch verdient und ist der bedeutendste Dichter der lateinischen Sequenzen oder Prosen, d.h. rhythmischer Texte, die den früher textlosen Melodien des Halleluja untergelegt wurden. Wilmanns (in Haupts »Zeitschrift für deutsches Altertum«, Bd. 15, Berl. 1871) weist ihm 35 Melodien und 41 solcher Texte zu. 1513 erfolgte seine Seligsprechung. Vgl. G. Meyer von Knonau, Lebensbild des heiligen N. von St. Gallen (in den »Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft von Zürich«, 1877); Werner, Notkers Sequenzen (Aarau 1901).

2) N. Physicus (»der Arzt«), gest. 12. Nov. 975, Schüler des N. Balbulus, als Gelehrter, Maler, Schreibkünstler und besonders als Arzt am Hofe Kaiser Ottos I. hoch angesehen, schmückte die St. Galler Klosterkirche und mehrere Handschriften mit Gemälden und schrieb Verschiedenes in lateinischen Versen.

3) N. Labeo (»der Großlippige«) oder Teutonicus (»der Deutsche«), geb. um 952, gest. 29. Juni 1022 in St. Gallen an der Pest, brachte die St. Galler Klosterschule als Vorsteher zu ihrer höchsten Blüte. Die [817] Übersetzungen ins Deutsche und die deutschen Erklärungen, die er für seine Schüler fertigte, sind für unsre Kenntnis des Althochdeutschen von hervorragendem Wert. Erhalten haben sich davon besonders »die Psalmen« (nach der St. Galler Handschrift hrsg. in Hattemers »Denkmalen des Mittelalters«, Bd. 2. St. Gallen 1844–46; nach der Wiener Handschrift von Heinzel und Scherer, Straßb. 1876; eine sprachlich verjüngte Fassung bieten die sogen. Windberger Psalmen, hrsg. v. Graff, Quedlinb. 1839), »De consolatione philosophiae« von Boethius; »De nuptiis Mercurii et Philologiae« von Martianus Capella, »Die Kategorien und Hermeneutik des Aristoteles« (alle drei hrsg. von Graff, Berl. 1837); eine kurze Zusammenstellung der Rhetorik (hrsg. von W. Wackernagel in der »Zeitschrift für deutsches Altertum«, Bd. 4, Leipz. 1846). Eine neue Ausgabe von »Notkers und seiner Schule Schriften« besorgte Piper (Freiburg 1883–8 t, 3 Bde.). Vgl. Henrici, Die Quellen von Notkers Psalmen (Straßb. 1878); Kelle, Die St. Galler deutschen Schriften und N. Labeo (Münch. 1888), Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, Grammatik der Psalmen Notkers (Berl. 1889) und dessen Aufsätze über N. im 30. Bande der »Zeitschrift für deutsches Altertum« (das. 1886) und im 18. und 20. Bande der »Zeitschrift für deutsche Philologie« (Halle 1885 u. 1887).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 817-818.
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