Ratzenhofer

[622] Ratzenhofer, Gustav, Soziolog und Militärschriftsteller, geb. 4. Juli 1842 in Wien, gest. 10. Okt. 1904 auf der Heimreise von Nordamerika, erlernte die Uhrmacherei, trat aber bald in den Kriegsdienst und machte den Feldzug von 1859 und als Offizier auch den von 1866 mit. Er kam dann zum Generalstab, schrieb hier unter anderm »Die taktischen Lehren des Krieges 1870/71« (Teschen 1873) und »Staatswehr« (Stuttg. 1881), wurde dann in das kriegsgeschichtliche Bureau des Generalstabs kommandiert und ward Mitarbeiter an dem Werke »Die Feldzüge des Prinzen Eugen«. Später wurde er Generalstabschef des 14. Korps in Innsbruck, schließlich Feldmarschalleutnant und Präsident des Militärobergerichts in Wien. 1901 trat er in den Ruhestand. In dem Werke »Wesen und Zweck der Politik« (Leipz. 1893, 3 Bde.) faßt er die Politik als Dynamik der sozialen Kräfte, praktisch als Kampf zwischen sozialen Gruppen auf. Er betrachtet die Gesellschaft als Organismus, der Naturgesetzen, insbes. den Momenten der Entwickelung und des Daseinskampfes, unterliegt und von dem »anhaftenden Interesse« nach Selbsterhaltung und Selbstentfaltung beherrscht wird. In dem Werke »Die soziologische Erkenntnis« (Leipz. 1898) und in der »Positiven Ethik« (das. 1901) werden diese Anschauungen entwickelt. Die »Kritik des Intellekts« (Leipz. 1902) bringt Grundzüge einer Erkenntnislehre, und in der Schrift »Der positive Monismus« (das. 1899) lehrt er einen evolutionistischen Monismus, für den alles Geschehen Äußerung einer »Urkraft« ist, deren Wirksamkeit, ohne daß es der Annahme einer »Materie« bedarf, im physischen wie im geistigen Sein erscheint und welcher Bewußtsein und »anhaftendes Interesse« eignet. Unter dem Pseudonym Gustav Renehr schrieb er: Im »Donaureich« (Prag 1876–77, 2 Tle.). Vgl. O. Gramzow, Gustav R. und seine Philosophie (Berl. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 622.
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