Reichstadt [2]

[743] Reichstadt, Napoleon Franz Joseph Karl, Herzog von, von den Bonapartisten wegen des Verzichts seines Vaters zu seinen gunsten 1815 Napoleon II. genannt. einziger Sohn des Kaisers Napoleon I. aus der Ehe mit Maria Luise von Österreich, geb. 20. März 1811 in Paris, gest. 22. Juli 1832, erhielt bei seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom. 1814 wurde er nach dem Schlosse Schönbrunn bei Wien gebracht. Als Napoleon 1815 von Elba zurückkehrte, forderte er vergeblich Gattin und Kind vom österreichischen Kaiser zurück. Als Maria Luise im März 1816 die Regierung von Parma übernahm, blieb der Prinz in Wien. Ein zwischen den verbündeten Mächten 1817 abgeschlossener Vertrag beraubte ihn seines Erbrechts auf Parma, wofür ihm der Kaiser Franz die Herrschaft Reichstadt (s. oben) in Böhmen verlieh. Zugleich erteilte ihm der Großvater den Rang unmittelbar nach den Prinzen des österreichischen Hauses, das Prädikat »Durchlaucht« und ein eignes Wappen. An seinem zwölften Geburtstag erhielt der Prinz das Fähnrichspatent, 1830 wurde er Mawr. Die Taten und das Schicksal seines Vaters waren ihm wohlbekannt, und er widmete diesem die leidenschaftlichste Verehrung. Mit Eifer gab er sich dem Studium der Kriegswissenschaft hin und verzehrte sich in unbefriedigtem Ehrgeiz nach großen Taten. Kummer und Enttäuschung begünstigten die Entwickelung der Lungenschwindsucht, deren erste Spuren sich im April 1832 zeigten; er starb zu Schönbrunn in den Armen seiner Mutter und ward in der kaiserlichen Gruft zu Wien beigesetzt. Auf seinen Tod dichteten Barthélemy und Méry das berühmte Gedicht »Le fils de l'homme«. Auch ist er der Held des [743] Trauerspiels »L'Aiglon« von Rostand (s. d.). Vgl. Montbel, Le duc de R. (Par. 1833); Saint-Félix, Histoire de Napoléon II (das. 1853); Graf v. Prokesch-Osten, Mein Verhältnis zum Herzog von R. (Stuttg. 1878); Welschinger, Le roi de Rome (3. Aufl., Par. 1898); Wertheimer, Der Herzog von R. (Stuttg. 1902); Lumbroso, Napoleone II (Rom 1902; dazu als 2. Teil »Bibliografia ragionata etc.«, 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 743-744.
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