Versäumnis

[100] Versäumnis, im Prozeßverfahren, die Unterlassung einer Prozeßhandlung seitens einer Partei innerhalb der gesetzten Frist oder in dem hierzu anberaumten Termin. Das gegenüber der säumigen Partei stattfindende Verfahren heißt Versäumnisverfahren (Kontumazialverfahren, s. Kontumaz), das gegen eine säumige Partei ergehende Urteil Versäumnisurteil. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 330–347) ist, wenn der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint, auf Antrag das Versäumnisurteil dahin zu erlassen, daß er mit der Klage abzuweisen sei. Beantragt der Kläger gegen den im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen oder nicht verhandelnden Beklagten das Versäumnisurteil, so ist das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzusehen und, soweit es den Klageantrag rechtfertigt, nach dem Antrag zu erkennen. Gegen das Versäumnisurteil ist Einspruch (s. d.) zulässig. Im übrigen hat die Versäumung einer Prozeßhandlung (nach § 230, 231) zur allgemeinen, ohne Androhung eintretenden Folge, daß die Partei mit dieser Handlung ausgeschlossen wird. Die V. eines Termins durch die geladenen Zeugen und Sachverständigen ist nach § 380 ff. und 374 mit Strafe bedroht. Wegen V. im Strafverfahren s. Ungehorsam. Nach der österreichischen Zivilprozeßordnung § 144, 145 u. 396 ff. gelten ähnliche Vorschriften wie nach der deutschen. Ein Versäumungsverfahren findet ober nur statt bei Versäumung der »ersten« Tagsatzung und der Frist zur schriftlichen Klagebeantwortung; bei Versäumung späterer Tagsatzungen gilt das bei frühern[100] Vorgebrachte. Bei V. der »ersten« Tagsatzung ist stets auf Grundlage des tatsächlichen Vorbringens der erschienenen Partei zu erkennen, das aber nur insoweit für wahr zu halten ist, als es nicht durch vorliegende Beweise widerlegt wird. Wenn die Klagebeantwortung versäumt wird, kann gegen den Beklagten, auch wenn er bei der Tagsatzung erscheint, Versäumnisurteil erlassen werden. Einspruch findet gegen das Versäumnisurteil nicht statt, sondern nur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 100-101.
Lizenz:
Faksimiles:
100 | 101
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika