Zikaden

[927] Zikaden (Zirpen, Cicadaria, Homoptera, hierzu Tafel »Ausländische Zikaden«, mit Erklärungsblatt), Insektengruppe aus der Ordnung der Halbflügler, mit pergamentartigen, dem Körper schräg, dachförmig anliegenden Flügeln, umfaßt vier Familien: Singzirpen, Leuchtzirpen, Buckelzirpen und Kleinzirpen. Die Singzirpen (Cicadidae, Stridulantia) sind plump gebaute Tiere mit kurzem, senkrecht stehendem Kopf und blasenartig aufgetriebener, querfaltiger Stirn, hervorquellenden Augen, drei deutlichen Nebenaugen auf dem Scheitel, borstenförmigen, kurzen Fühlern, glasartigen, unbehaarten oder gefärbten und behaarten Vorderflügeln und verdicktem, unten stacheligem Vorderschenkel. Sie gehören meist den Tropen an und saugen an jungen Baumtrieben. Die Männchen bringen sehr helle, schrillende oder pfeifende Töne hervor. Die Tettix der Griechen wurde von den alten Dichtern, besonders von Anakreon, besungen, und eine auf einer Harfe sitzende Zikade galt als Sinnbild der Musik. Wie schon Réaumur 1740 wußte, ist am Anfang des Hinterleibes rechts und links je eine runde Stelle der Haut äußerst dünn und kann von einem starken Muskel in rasche Schwingungen versetzt werden. Die so erzeugten Töne werden dadurch verstärkt, daß fast der ganze mit Luft erfüllte Hinterleib als Resonator dient. Die dünnen Stellen der Haut werden von Hautfalten, die sich wie Deckel darüber hinwölben, geschützt. Die Weibchen bohren mit einem in der Längsspalte des Bauches verborgenen Legstachel junge Triebe bis zum Mark an, um ihre Eier abzulegen; die Larven saugen am Baum, auch an den Wurzeln. Die Larve der nordamerikanischen Cicada septemdecim lebt in der Erde und braucht 13–17 Jahre zu ihrer Entwickelung. Das fertige Insekt lebt 5–6 Wochen, es wird wie die Larve Wald- und Gartenbäumen schädlich. Von 400–500 Arten gehören nur 18 dem südlichen Europa an. Cicada plebeja Scop. (s. Tafel »Halbflügler«, Fig. 9) spannt mit den Flügeln über 8 cm, ist schwarz, auf dem Schildchen und auf dem Prothorax rostgelb, am Hinterleib seitlich weiß, auf den Flügeln gelbbraun geädert und bewohnt Süddeutschland. Größere Arten finden sich in Nordamerika und Brasilien. Die Mannazikade (C. orni L., s. Tafel »Halbflügler«, Fig. 10), mit elf braunen Punkten auf jedem der wasserhellen Vorderflügel und braunem, gelb geflecktem und weiß behaartem Körper, sticht in Südeuropa die Blätter der Mannaesche an, um ihre Eier darin abzulegen. Auf der Wunde bilden sich Mannatröpfchen, doch hat dies Produkt für den Handel keine Bedeutung. Die Larve lebt 4 Jahre in der Erde. Von den alten Griechen wurden Zikadenlarven gegessen. Die Leuchtzirpen (Fulgoridae) haben einen vielgestaltigen Kopf mit scharfen Leisten; die Augen sind klein, jederseits oft mit einem Nebenauge, die Fühler meist ganz klein, warzenförmig. Die Vorderflügel sind dünnhäutig, derb oder lederartig. Viele Arten von beträchtlicher Größe und lebhafter, bunter Färbung bewohnen vorwiegend die Tropen; Europa besitzt nur unscheinbare Arten. Ihren Namen haben sie von dem surinamschen Laternenträger, von dem man glaubte, daß er nachts leuchte; sie zirpen nicht. Durch die Körperbedeckung hindurch sondern sie eine wachsartige Substanz aus, die in besonderer Dichtigkeit und oft in langen, fadenförmigen Strängen die Oberfläche des Hinterleibes bedeckt. Über die Gattung Laternenträger (Fulgora) s. d. Das Wachs der chinesischen Flata limbata Fabr. kommt in den Handel. Die Buckelzirpen (Membracidae) sind kleine bis mittelgroße, springende, nicht zirpende Tiere mit extravaganten Bildungen des Prothorax, unter dem oft Mittel- und Hinterrücken, selbst Flügel und Hinterleib verborgen liegen; der Kopf ist nach unten gerückt, zwischen den Augen liegen zwei Nebenaugen, die Fühler sind sehr kurz, unter dem Stirnrand verborgen. Sie bewohnen bis auf eine Gattung Amerika und sind dort ungemein zahlreich vertreten. Die gehörnte Dornzirpe (Centrotus cornutus L.), 6–9 mm lang, schwarz, sein seidig behaart, an Knien, Schienen, Tarsen und Rückenkiel rostrot mit zwei seitlichen, ohrartigen Fortsätzen und einem hintern, langen, scharf gekielten Dorn am Mesothorax, findet sich bei uns im Herbst häufig auf Haselgebüsch. Die Kleinzirpen (Zwergzirpen, Cicadellidae) haben frei hervortretenden Kopf, die Nebenaugen stehen zu zweien oder fehlen, die Fühler sind kurz, mit Endborste, der Prothorax ist meist einfach und bedeckt den Mesothorax bis zum Schildchen, die Oberflügel sind lederartig, die Hinterbeine verlängert. Sie springen, zirpen aber nicht und finden sich in zahlreichen Arten in Europa. Die Schaumzikade (Aphrophora spumaria L., s. Tafel »Halbflügler«, Fig. 11) ist 11 mm lang, gelbgrau, mit zwei schrägen, hellen Binden auf den Deckflügeln; das Weibchen legt im Herbste die Eier in Rindenrisse der Weide oder an den Wurzelstock einiger Wiesenpflanzen, die im Frühjahr erscheinende Larve sticht die Futterpflanze an und saugt deren Saft; ihre Exkremente treten als Bläschen aus, die das Tier vollständig mit dichtem Schaum umhüllen (Kuckucksspeichel). Sitzen viele Larven auf einer Weide beieinander, so fließen die Schaumbläschen zu Tröpfchen zusammen und fallen herab (tränende Weiden). Nach der letzten Häutung kommt die Zikade aus dem Schaum hervor und lebt auf Gräsern und Gebüsch. Die sechsfleckige Kleinzirpe (Cicadula [Jassus] sexnotatus Fall.). 3,75 mm[927] lang, hellgelb mit dunkelbrauner Zeichnung, oft fast ganz braun, lebt auf Wiesen an Gras, tritt bisweilen massenhaft auf und wird dann auf Getreidefeldern der Sommersaat sehr schädlich (besonders im östlichen Deutschland). Man vernichtet sie durch Besprengen des Getreides mit einer Lösung von Schmierseife mit Karbolsäure oder Ammoniak. Vgl. Jungner, Die Zwergzikade Cicadula sexnotata Pall. (Berl. 1906). Eine Anzahl durch eigentümliche Formen oder Farbenpracht ausgezeichneter Z. s. auf beifolgender Tafel. Vgl. Melichar, Cikadinen von Mitteleuropa (Berl. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 927-928.
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