Raschke, Frl. Marie

[167] *Raschke, Frl. Marie, stud. jur., Berlin SW., Königgrätzerstrasse 88, geboren am 25. Januar 1850 in Gaffert bei Stolp in Pommern als Tochter eines Rittergutsbesitzers, verlebte sie ihre Jugend auf dem Lande. Den ersten Unterricht erhielt sie von einer Erzieherin, und später wurde sie in das Pensionat eines Landpfarrers gegeben. Nach dem infolge grosser Kränklichkeit frühzeitigen Abschluss der Schulzeit beschäftigte sie sich neben der Erlernung der Führung eines grossen, ländlichen Haushaltes mit Geschichte, Litteratur und Sprachen. Ihre Eltern, die in Pommern in pekuniär guten Verhältnissen gelebt hatten, verloren ihr ganzes Vermögen, und Marie sah sich genötigt, den Kampf mit dem Leben selbständig aufzunehmen. Nach kurzer Vorbereitung machte sie im Jahre 1880 in Berlin das Lehrerinnen-Examen für mittlere und höhere Mädchenschulen und erhielt zuerst als Lehrerin an einer privaten höheren Mädchenschule, 1883 als städtische Lehrerin Anstellung in Berlin. Nachdem sie erkannt hatte, dass einer städtischen Lehrerin jedes Streben nach dem so notwendigen Einfluss auf Abstellung der den städtischen Schulen anhaftenden Mängeln abgeschnitten war, gab sie im Verein mit mehreren anderen Kolleginnen den Anstoss zum festeren Zusammenschluss der Berliner Volksschullehrerinnen, hoffend, dass es den vereinten Lehrerinnen gelingen werde, nicht bloss die pekuniäre Zurücksetzung gegenüber den männlichen Kollegen zu überwinden, sondern auch die Leitung der Mädchenschulen den Lehrerinnen erkämpfen zu können. Auf ihren Reisen in Norwegen lernte sie die dortigen Schulen kennen und berichtete über die musterhafte Organisation derselben in einem Artikel: »Zur Reorganisation der höheren Mädchenschulen«, Universitätszeitung vom 1. April 1893. An das Ministerium sandte sie einen Vorschlag zur Ausgestaltung unseres Mädchenschulwesens nach norwegischem Muster. Doch alle diesbezüglichen Bemühungen blieben erfolglos. Da entschloss sie sich im Jahre 1894 dem Verein »Frauenwohl« beizutreten und an dem Kampf der Frauenbewegung im Allgemeinen thätigen Anteil zu nehmen. Am Tage ihres Antrittes stellte sie den Antrag: Der Verein »Frauenwohl« möge einen allgemeinen Protest der deutschen Frauen gegen den Entwurf des Familien rechts eines neuen bürgerlichen [167] Gesetzbuches für das Deutsche Reich veranlassen. Diesem Antrage wurde Folge gegeben, eine Kommission zu dem Zwecke gebildet und Marie R. erhielt in Gemeinschaft mit Frau Sera Proelss (siehe diese), den Auftrag, in einer Schrift die Benachteiligungen, welche den deutschen Frauen im neuen Gesetzbuch drohten, hervorzuheben, und sie dadurch zur Anteilnahme an dem vom deutschen Frauenbund übernommenen Protest zu bewegen. Ihr hauptsächlichstes Wirken gilt der besseren Rechtsstellung der Frau. Sobald dem Reichstage ein Gesetzentwurf zur Beratung vorliegt, der nicht gleiches Recht für die Frau enthält, richtet sie entweder als Vorsitzende der Rechtskommission im Namen des Bundes oder in Verbindung mit anderen Frauen eine Petition an den Reichstag, in welcher gleiches Recht für Mann und Frau gefordert wird. Die letzte Petition vom 12. Januar 1898 schliesst sich an den Entwurf eines Gerichtsverfassungsgesetzes und bezweckt Berufung der Frauen als Laienrichter beim Vormundschafts-, Schöffen- und Schwurgericht. In einem Aufsatze: »Die Laiengerichte und die Frauen« hat sie die Entwickelung dieser Gerichte und die Notwendigkeit der Mitwirkung von Frauen wissenschaftlich dargethan. Für die »Frauenbewegung« schrieb sie mehrere Abhandlungen über einzelne Teile des Familienrechtes, über Vereins- und Staatsrecht u.v.a. Auf der Versammlung des Bundes deutscher Frauenvereine, 1896, wurde sie zur Vorsitzenden der Rechtskommission des Bundes, und gleichzeitig vom Verein preussischer Volksschullehrerinnen zur Vorsitzenden der Centralstelle für Rechtsschutz gewählt. Sie beteiligte sich später an der Redaktion des im Januar 1897 erschienenen Kongressbuches. In einem Artikel: »Das Rechtsstudium der Frau« suchte sie Lehrerinnen zum Studium der Rechtswissenschaft anzuregen. Sie selbst begann im Wintersemester 1896/97 mit dem regelrechten Studium der Jurisprudenz und tritt nun Ostern dieses Jahres in das 4. Semester ein. Ihr Plan ist, »nach Absolvierung des vollen Studiums als Lehrerin der Gesetzeskunde das schlummernde Rechtsbewusstsein der weiblichen deutschen Jugend zu wecken und zu ethisch bewussten Persönlichkeiten diejenigen heranbilden zu helfen, die noch unbewusst durch die Konsequenzen ihres schlechteren Rechtes nicht zu der Entfaltung ihrer ihnen von der Natur verliehenen Gaben gelangen können.«

u. S. Proelss. Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch. Beleuchtg. u. Gegenüberstellg. d. Paragraphen d. Entwurfs eines bürgerl. Gesetzbuches für das Deutsche Reich. 2. Lesg., nebst Vorschlägen zur Änderg. derselben im Interesse der Frauen. 8. (58) Berlin 1895, F. Dümmlers Verlag. –.40

‒ Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen. 8. (16) Ebda. 1897. n –.30

‒ Eine Ferienreise nach dem Nordkap. 8. (32) Berlin 1892. Vergriffen.

Quelle:
Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder Bd. 2. Berlin, 1898., S. 167-168.
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