Atheïsmus

[868] Atheïsmus (v. gr.), 1) eigentlich u. ursprünglich die Vernachlässigung des äußern Religionscultus, wo Einer thut, als wäre kein Gott, dem er zur Verehrung verpflichtet wäre; auch 2) der Zweifel u. Unglaube an die Volksreligion in einer geordneten Form; so hatten mehrere griechische Philosophen den Beinamen Atheos, weil sie an die Wahrheit u. Richtigkeit des populären Gottesglaubens nicht glaubten, so Diagoras Melios, Theodoros Kyrenios, Euemeros, Bion u. A.; daher auch 3) die ihre väterliche Religion verließen u. eine andere[868] annahmen, od. auch 4) deren Religion keine Götterbilder duldete, aus welchen beiden letzteren Gründen die Christen von den Heiden des A. angeklagt wurden. In der christlichen Kirche galt nach der Feststellung des Dogma von der Dreieinigkeit als A. 5) der Zweifel an der Wahrheit dieser Kirchenlehre. In der Religionsphilosophie ist A. 6) die Meinung von der Grundlosigkeit des Glaubens an ein göttliches Wesen. Dieser A. ist entweder dogmatisch, wenn man mit bestimmten Gründen beweisen will, daß es keinen Gott gebe (Gottesläugnung); od. skeptisch, wenn man nur die Zulänglichkeit des Beweises von dem Dasein Gottes läugnet. Auch unterscheidet man theoretischen A., welcher nur die objective Wirklichkeit der Idee von Gott verwirft, aber eine subjective Gültigkeit für das Leben anerkennt; u. einen praktischen A., der auch die subjective Gültigkeit der Gottesidee läugnet u. diese Idee nicht aus der Vernunft, sondern aus der Erziehung des Menschen stammen läßt. Unter idealistischem A. versteht man die Meinung, daß das Göttliche nur in dem Ich u. seiner Ideenwelt bestehe. Da der Glaube an Gott jedem Menschen von Natur einwohnt, so entspringt der A. aus einer Verirrung des Verstandes, welcher entweder jenen ursprünglichen Glauben verkennt, oder ihm keine objective Wahrheit zugesteht, indem er vergißt, daß alle Wahrheit zuletzt nur eine innere Gewähr hat u. sich auf Glauben gründet. Eine solche Verirrung des Verstandes ist nur da möglich, wo derselbe eine gewisse Freiheit des Denkens erreicht u. sich dem Einfluß des Glaubens entzogen hat, in Zeiten, wo die Philosophie bis auf einen gewissen Grad ausgebildet, die Sitten aber verderbt u. die Religion erkaltet ist. Am offensten predigte die materialistische Philosophie der Encyklopädisten in der Mitte des 18. Jahrh. in Frankreich den A., wie dies bes. der Verfasser des Systéme de la nature gethan hat. Die deutsche Philosophie hat sich nie so weit verirrt, u. Fichte ward mit Unrecht des A. beschuldigt, indem er blos die gewöhnlichen Begriffe von Gott bestritt; nur die Naturforscher der neuesten Zeit haben auf dem Gebiete des Materialismus wieder den A. gepredigt, s. u. Materialisten. Vgl. Buddeus, Theses de Atheismo, Jena 1717 (deutsch, ebd. 1723); Heidenreich, Briefe über den A., Lpz. 1796; Reimann, Historia atheismi, Hildesh. 1725; Sylv. Maréchal u. Lalande, Dictionnaire des athées, 1799.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 868-869.
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