Religionsphilosophie

[33] Religionsphilosophie, der Theil der Philosophie, welcher die Untersuchung der Wahrheit des religiösen Glaubens zum Gegenstande hat. Während nämlich jeder religiöse Glaube die Wahrheit seines Inhalts unbefangen u. unmittelbar voraussetzt,[33] ist für die R. die Frage nach dessen Gründen das Wesentliche; sie kann daher einer bestimmten positiven Religion gegenüber eben so wohl eine kritisch-prüfende als eine rechtfertigende Richtung einschlagen; in dem letzteren Falle hat sie meistentheils dahin gestrebt, über die Glaubenssätze einer positiven Religion ein durch das Denken vermitteltes Bewußtsein zu erreichen, wie denn z.B. die Philosophie der Kirchenväter u. der Scholastiker wesentlich eine R. auf der Grundlage des Christenthums war u. deshalb als christliche R. bezeichnet wird. Wo sich die R. unabhängig von der Beziehung auf die Lehren einer bestimmten positiven Religion auszubilden gesucht hat, haben die Grundverschiedenheiten der philosophischen Richtungen einen wesentlichen Einfluß auf sie gehabt u. sich zum Theil gerade in ihr zu erkennen gegeben. Abgesehen von den Gefühlen der Furcht u. Hoffnung, auf denen der religiöse Glaube, wie er sich in dem menschlichen Gemüthe thatsächlich gestaltet, mit beruht, sind es hauptsächlich die metaphysischen od. theoretischen, u. die ethischen od. praktischen Bestandtheile desselben, um welche sich die Verschiedenheiten der R. gruppiren, indem für die menschliche Forschung Gotttheils als das Erste im Gebiete des Seins u. Werdens, theils als das Höchste im Gebiete dessen, was einen Werth hat, sich darstellt; denn dem menschlichen Denken, indem es die Idee Gottes zu bestimmen sucht, ist seine Richtung unvermeidlich, theils durch die Frage nach der höchsten Causalität, theils durch die nach dem Ideal der absoluten sittlichen Vollkommenheit vorgezeichnet; was in der einen od. der anderen Beziehung für einen bestimmten philosophischen Gedankenkreis das Höchste ist, bietet innerhalb desselben den Inhalt für die Idee Gottes dar, wie z.B. die Idee des Guten bei Plato, das alles bewegende Unbewegte bei Aristoteles, die moralische Weltordnung bei Fichte. Ein wesentlicher Unterschied liegt aber darin, ob für die Bestimmung der Gottesidee die metaphysischen od. die ethischen Elemente den Anknüpfungspunkt bilden u. in welches Verhältniß beide sich zu einander setzen. Insofern die R. vorzugsweise innerhalb metaphysischer Begriffe sich bewegt u. selbst der letzte Abschluß der Metaphysik zu sein beabsichtigt, bildet der Pantheismus u. der Theismus für sie einen principiellen Gegensatz, indem jener Gott od. das Absolute als den Inbegriff alles Seienden, dieser als ein persönliches, seinem Sein nach von der Welt verschiedenes, in wirksamen Beziehungen der Schöpfung, Erhaltung u. Regierung zu ihr stehendes Wesen auffaßt. Sowohl in der einen als in der anderen Beziehung würde die R., wenn sie sich als strenges u. vollständiges theoretisches Wissen ausbilden will, die Aufgabe zu lösen haben, die Darstellung Gottes in der Welt od. den Ursprung der Welt aus Gott wissenschaftlich zu construiren; sie müßte sich in das Wesen u. Wirken Gottes hineinzuversetzen, einen theoretischen Standpunkt einzunehmen im Stande sein Wievielfach nun auch seit der Zeit der Neuplatoniker (s.d.) bis auf Schelling u. Hegel herab die Behauptung der Möglichkeit einer solchen Construction ausgesprochen u. die R. als eine Art Naturgeschichte Gottes behandelt worden ist, so hat es doch andererseits nie an der Opposition solcher Denker gefehlt, welche weder die schwärmerische Versetzung des menschlichen Bewußtseins in das göttliche, noch die intellectuelle Anschauung des Absoluten, noch die behauptete Identität des Seins u. des Denkens sammt den Schilderungen des Processes, in welchem Gott sich selbst darstelle u. entwickelt, anerkennt, sondern sich durch die unermeßlichen Lücken, welche jeder Versuch einer solchen Construction übrig läßt, zu dem Geständnisse genöthigt gefunden haben, daß R. als strenge theoretische Wissenschaft außerhalb der Grenzen des menschlichen Wissens liege. Innerhalb dieser sich selbst beschränkenden Richtung, welche namentlich Kant als die der menschlichen Befähigung allein zugängliche nachzuweisen gesucht hat, ist im Allgemeinen die Aufgabe der R. so angesehen worden, daß sie ohne auf ein absolutes Wissen über Gott Anspruch zu machen, durch Rückschlüsse aus der vorliegenden Natur- u. Weltordnung dem religiösen Glauben im menschlichen Gemüthe sichere Haltpunkte darzubieten u. namentlich das Bewußtsein zu beleben habe, daß Gott nicht blos als letzte Causalität u. absolute Macht, sondern auch als der Gegenstand der höchsten Verehrung zu denken sei u. daß er dies erst dadurch werden könne, daß die sittlichen Ideen der Heiligkeit, Güte u. Gerechtigkeit als die seinen Begriff wesentlich constituirenden Merkmale angesehen werden. Mit dieser Verschiedenheit, ob die R. als Ausdruck eines strengen speculativen Wissens, od. als die Rechtfertigung eines wesentlich auf ethischen Grundlagen ruhenden vernünftigen Glaubens angesehen wird, hängt die Verschiedenheit ihrer Stellung im Systeme der Philosophie zusammen, indem sie im ersten Falle häufig als der Anfangspunkt, im zweiten als der Endpunkt desselben angesehen wird, so daß dort die übrigen philosophischen Untersuchungen von ihr beherrscht werden, hier auf sie hinführen. Immer aber ist sie eine der wichtigsten Aufgaben des philosophischen Denkens; theils weil die religiösen Überzeugungen zu den wichtigsten Angelegenheiten des Menschen gehören, theils weil religiöse Vorstellungsarten, wenn man die Geschichte der Religionen überblickt, so vielfältig mit Bestandtheilen eines vielförmigen Aberglaubens verschmolzen erscheinen, die religiösen Bedürfnisse so oft als Mittel zur Erreichung sehr egoistischer Zwecke benutzt worden sind u. der religiöse Fanatismus so oft die Ursache entsetzlicher Greuel gewesen ist, daß die Philosophie niemals vergessen darf, daß sie die Pflicht hat, das, was der Religion Werth u. Würde gibt, vor jenen Verunstaltungen u. Verderbnissen sicher zu stellen. Vgl. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793; Schleiermacher, Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799; Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 1832 (Werke 11. u. 12. Bd.); Thilo, Die Wissenschaftlichkeit der modernen speculativen Theologie in ihren Principien beleuchtet, Lpz 1851.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 33-34.
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