Summarische Wiederholung

[1269] Summarische Wiederholung. (Beredsamkeit)

Ist das, was die griechischen Lehrer der Redner ἀνακεφαλαιοσις nannten, und was auch im Lateinischen Recapitulatio heißt, nämlich; eine beym Beschluß der Rede vorkommende kurze Wiederholung dessen, was in der Abhandlung vollständig ausgeführt worden. Quintilian beschreibt die Sache nach seiner Art, kurz und bündig. »Eine Wiederholung und Zusammenhäufung der abgehandelten Sachen, die das vorhergehende wieder ins Gedächtnis bringt, und den Inhalt der Rede im Ganzen darstellt, und wodurch das, was einzeln nicht hinlänglich gewürkt hat, izt zusammengefaßt, seine Würkung thut.«1 Diese summarische Wiederholung ist ein höchst schweeres, aber sehr wichtiges Stük des Beschlusses. Man muß nicht nur das, was weitläuftig ausgeführt worden, in seinen wesentlichen Theilen kurz zusammenfassen; sondern den Sachen auch eine neue Wendung und grössere Lebhaftigkeit geben, damit es nicht scheine, als wenn man das gesagte noch einmal, so wie es schon gesagt worden, wiederholen wolle; welches langweilig und verdrießlich seyn würde.

Bey dieser Wiederholung muß der Redner weder sich in eine neue Erzählung, oder Beschreibung, noch in einen neuen Beweis einlassen, sondern voraussezen, daß der Zuhörer das vorhergehende hinlänglich gefaßt habe, und nun alles mit einem einzigen Blik, und aus einem neuen Gesichtspunkt, wieder übersehen wolle. Darum berührt er bey dieser Wiederholung nur das Wesentlichste, mit großer Kürze, in dem zuversichtlichsten Ton und mit voller Wärme des Ausdruks. Dieses erfodert gerade den stärksten Redner, denn es ist viel leichter [1269] einen Beweis methodisch zu führen, oder eine umständliche Erzählung zu machen, als das kräftigste davon in wenig Worten zusammen zu fassen. Quintilian führet die Peroration, oder den Beschluß der lezten Rede des Cicero gegen den Verres zum Muster einer vollkommenen summarischen Wiederholung an: sie ist in der That höchst pathetisch. Jungen Rednern ist eine ganz besondere Uebung in diesem Theile der Kunst zu empfehlen. Sie können die Reden des Demosthenes und Cicero dazu nehmen, und versuchen, den darin abgehandelten Materien, durch summarischer Wiederholung, neue Kraft zu geben. Sie müssen dabey voraussezen, daß die Zuhörer durch die Abhandlung hinlänglich überzeuget, oder gerührt seyen, und bedenken, daß es nun darum zu thun sey, dieser Ueberzeugung oder Rührung den lezten Nachdruk, und das wahre Leben zu geben. Dieses kann nicht anders geschehen, als wenn sie selbst in volles Feuer der Empfindung gesezt sind. Denn im Grund ist dieser Theil der Rede nichts anders, als eine sehr schnelle und lebhafte Aeußerung dessen, was man izt, nachdem der Redner das seinige gethan hat, fühlt.

1Rerum repetitio et congregatio, quæ græce ἀνακεφαλαιοσις a quibusdam latinorum enumeratio, et memoriam judicis reficit et totam simul causam ponit ante oculos, et, etiam si per singula minus moverat, turba valet. Inst. L. VI. c. 1.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1269-1270.
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