Predigt

[557] Predigt wird eine von einem christlichen Geistlichen vor einer Versammlung gehaltene Rede genannt, deren Zweck die Verkündigung des göttlichen Wortes ist, daher der Geistliche selbst von dieser wichtigsten Obliegenheit seines Berufs Prediger und die jedesmalige Erfüllung derselben predigen heißt. Den protestantischen Geistlichen wurde jener Name anfangs von den Katholiken spottweise gegeben, weil sie keine Priester (s.d.), sondern Verkündiger des göttlichen Wortes sein wollten und nicht den bloßen Altardienst, die Verwaltung der Sacramente und das richterliche Ansehen, sondern Verkündigung des göttlichen Wortes durch die Predigt als ihren Hauptberuf anerkannten. Die Predigt ist eine Rede und hat mit dieser die Bewegung des Gemüths für ein Interesse und das Streben gemein, dasselbe bei andern Menschen geltend zu machen, soll aber im Besondern den Eifer für die Religion entzünden und alle Bestrebungen des Menschen derselben dienstbar zu machen suchen. Als Rede beruht die Predigt auch auf allen Bedingungen einer Rede, auf der Kunst der Erfindung, Anordnung, Ausführung und des endlichen Vortrags derselben; aber da sie immer einen religiösen Zweck hat und das Wort Gottes aus der Schrift verkündigt, so ergibt sich dadurch ihre Eigenthümlichkeit, indem sie aus und vermittels der h. Schrift erbaut, sodaß Schriftmäßigkeit und Erbaulichkeit zwei nothwendige Merkmale der Predigt sind. Ihren Ausgangs- und Endpunkt findet deshalb die Predigt in einer Stelle der h. Schrift, welche der Text heißt, dessen Behandlung, je nachdem sie entweder den Inhalt desselben in seine einzelnen Bestandtheile auflöst, oder in einen Hauptgesichtspunkt zusammendrängt, den formellen Unterschied der analytischen und synthetischen Predigten begründet, die man dann wieder textgemäß nennt, wenn sie Das besagen, was der Text enthält. Die analytischen Predigten heißen auch Homilien, deren Eigenthümlichkeit darin besteht, daß sie ohne Berücksichtigung eines Themas die Schriftstelle in einem gewissen Zusammenhange mit zugleich fruchtbarer Nutzanwendung ausführlich erklären, während die synthetischen Predigten einen Hauptsatz oder ein Thema an die Spitze stellen, das sie nach den Gesetzen der logischen Begriffsverhältnisse verarbeiten; beides ist durch die Natur und Beschaffenheit des Textes bedingt und für den Zweck der Predigt selbst gleichgültig. Zeit und Umstände, unter welchen die Predigten gehalten werden, bedingen die verschiedene Eintheilung derselben. Casual- oder Gelegenheitspredigten sind z.B. solche, welche durch besondere Vorfälle oder Ereignisse herbeigeführt werden, als [557] da sind: Antritts-, Abschieds-, Einweihungs-, Einführungs-, Sieges-, Friedens-, Landtags- und Huldigungspredigten; ferner die Tauf-, Confirmations-, Trauungs-, Beicht- und Leichenpredigten oder Reden; endlich diejenigen, welche durch besondere unglückliche Ereignisse veranlaßt werden, als Feuer- und Wassersnoth, Hagel- und Gewitterschaden u.s.w. Gleich sehr die Würde des Ausdrucks einer Predigt verletzend ist es, wenn sie durch hochtrabende Redensarten in leere Declamation ausarten oder in rücksichtsloser und an das Gemeine anstreifender Sprache abgefaßt sind, wie das in überspannt mystisch und mit großem Unrecht für biblisch ausgegebenen Predigten der neuesten Zeit vorkommt, in denen z.B. von dicken Vernunftköpfen die Rede ist, welche durch die enge Glaubensthür stoßen, oder von der Weisheit des Weltmenschen, die ein Loch haben soll. Entscheidend für den Werth der Predigt ist Das, was sie bewirkt, und sie ist nur so viel werth, als sie bewirkt, d.h. als sie die Erkenntniß der Zuhörer in christlichen Dingen erweitert, vervollständigt, berichtigt, das Herz mit den Gefühlen der christlichen Frömmigkeit und Andacht erfüllt und den Willen für das Gute kräftigt und bestimmt. Im protestantischen Gottesdienste bildet die Predigt den Mittelpunkt, dagegen ihr die Katholiken einen geringern Werth beilegen und sie der Messe nachstellen. Die Wissenschaft von der Kanzelberedtsamkeit oder die Wissenschaft, eine Kanzelrede (Predigt) zu entwerfen, zu ordnen, auszuarbeiten und vorzutragen, heißt die Homiletik, und nimmt unter den Wissenschaften der praktischen Theologie oder Pastoraltheologie unstreitig den höchsten Rang ein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 557-558.
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