Röhr

[723] Röhr (Joh. Friedr.), Vicepräsident des Oberconsistoriums, Kirchenrath und Generalsuperintendent zu Weimar, einer der ausgezeichnetsten unter den jetzt lebenden berühmten Kanzelrednern und Herausgeber mehrer weitverbreiteten theologischen Zeitschriften, wurde am 30. Jus. 1777 zu Roßbach bei Naumburg geboren, wo sein Vater Landmann war. Als Schulknabe hatte er hier die Aufmerksamkeit des Ortsgeistlichen Bernhard auf sich gezogen, der frühzeitig seine Bestimmung zur wissenschaftlichen Laufbahn vermittelte, welche R. 1790 auf der Fürstenschule Pforta begann, diese Anstalt 1796 mit guten Zeugnissen verließ, und dann zu Leipzig bis 1802 Theologie studirte. Hierauf durch Reinhard, auf welchen er in Dresden bei dem Candidatenexamen den günstigsten Eindruck gemacht hatte, als Hülfslehrer an die Schulpforte befördert, vertauschte er 1804 dieses Amt mit der Predigerstelle zu Ostrau bei Zeitz, wo er, im fortgesetzten Streben, seine theologischen Ansichten weiter auszubilden, in den durch »Reinhard's Geständnisse« angeregten Streitigkeiten über christliche Glaubenslehren die erste Veranlassung fand, sich öffentlich auszusprechen. Im J. 1820 erhielt er den Ruf als Generalsuperintendent nach Weimar und von [723] der Facultät zu Halle das theologische Doctordiplom. Dort wirkt er noch jetzt als Prediger bei Hof und in der Stadt, und in ausgebreiteter Amtsthätigkeit als Vorsteher einer zahlreichen Geistlichkeit auf das segensreichste. Durch die lat. Candidatenprüfungen und durch die sogenannten General-Kirchen- und Schulvisitationen, welche R. nach unbestimmter Reihenfolge in einem mehrjährigen Umlauf, nach und nach in allen Kirchen und Schulen des Landes hält, hat er einen entschiedenen Einfluß auf die Bildung und Wirksamkeit der Geistlichen gewonnen, und im Sommer 1824 ehrte auch das Ritterkreuz des großherzogl. Falkenordens seine Verdienste. Als Theolog bekennt sich R. entschieden zur Ansicht des Rationalismus (s. Rational), und er muß selbst als der wirksamste Vertreter und Beförderer desselben betrachtet werden. Die Grundsätze desselben hat er in seinen »Briefen über den Rationalismus« (Zeitz 1813) ausgesprochen, und in diesem Geiste erscheint noch jetzt die von ihm unter dem Titel »Kritische Predigerbibliothek« herausgegebene Zeitschrift. Wie er deshalb von den Freunden der Aufklärung verehrt wird, muß er sich auch andererseits als einen Beförderer des Unglaubens verketzern lassen. In seinen Predigten schließt er sich mit Selbständigkeit an Reinhard an, ist aber in Reichthum und Klarheit der Gedanken, in edler, begeisterter Sprache des erhabenen Vorbildes vollkommen würdig. Auch die Rechte der protestantischen Kirche haben, den Anmaßungen der röm. katholischen Kirche gegenüber, an ihm zu verschiedenen Zeiten einen muthigen Vertreter gefunden. In diesem Sinne hielt er in neuerer Zeit, bei Gelegenheit des Reformationsfestes 1838 wie auch veranlaßt durch die kirchlichen Wirren in Preußen, die berühmte Predigt, welche in kurzer Zeit elf Mal aufgelegt werden mußte. In Folge einiger darin vorkommenden heftigen Äußerungen gegen den Papst wurde R. sogar von Seiten der katholischen Geistlichkeit bei der höchsten weimarischen Behörde angeklagt, aber die Klage auf eine für ihn ehrenvolle Weise von ihr abgewiesen, auch um diese Zeit R. zum Beweis des ungeschwächten Vertrauens Seiten der großherzogl. Staatsregierung zum Vicepräsidenten des weimarischen Oberconsistoriums ernannt. Unter seine verbreitetsten Schriften gehört auch die »Historisch-geographische Beschreibung des jüd. Landes zur Zeit Jesu« (7. Aufl., Zeitz 1835).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 723-724.
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