Reinhard

[663] Reinhard (Franz Volkmar), einer der ausgezeichnetsten protestantischen Kanzelredner und theologischen Schriftsteller, geb. am 12. März 1753 zu Vohenstrauß, einem Marktflecken im ehemaligen Herzogthum Sulzbach, wo sein Vater Prediger war, der ihm als ein frommer, in den alten Sprachen wohlunterrichteter Mann, die sorgfältigste Erziehung ertheilte. Bereits im neunten Jahre zeigte R. Anlagen zum Dichter, und würde vielleicht später als solcher genannt worden sein, wenn es ihm nicht gänzlich an Mustern gefehlt hätte. Mit dem 15. Jahre und wenig Wochen nach seines Vaters Tode, dem bald aus Gram die Mutter folgte, bezog R. die Schule zu Regensburg und ging 1773, reich an Kenntnissen und vielfach gebildet auf die Universität Wittenberg, um sich der Theologie und dem Predigtamte zu widmen, doch nicht ohne die Besorgniß, sein schwächlicher Körper werde ihn an seinem Vorhaben hindern. Ein glücklich bestandener Versuch im Predigen belebte seinen Eifer für dasselbe noch mehr; doch nahmen die Sprachwissenschaft und die Philosophie seinen Fleiß nicht weniger in Anspruch. Nach vollendeten Studien wollte R. in sein Vaterland zurückkehren, aber seine Lehrer veranlaßten ihn, die Laufbahn eines Universitätslehrers zu betreten, die nach anfänglichen Beschwerden zu seinem Glücke und seiner nachmaligen Berühmtheit führte. Bereits 1780 wurde er zum außerordentlichen Professor der Philosophie, 1782 zum ordentlichen Professor der Theologie und zwei Jahre später zum Propste an der Schloß- und Universitätskirche zu Wittenberg ernannt, welches Amt ihm die [663] Verpflichtung auflegte, dort an jedem Sonn- und Festtage Vormittags zu predigen, um vornehmlich jungen Studirenden zum Muster und Vorbilde zu dienen. In diesem Wirkungskreise erwarb sich R. fortdauernd ungetheilten Beifall und wie groß er selbst die Foderungen an seine Predigten stellte, fuhr er doch fort, als akademischer Lehrer über fast alle Zweige der theologischen Wissenschaft gründliche Vorlesungen zu halten und mehre von ihm herausgegebene Werke begründeten zugleich seinen Ruf als Schriftsteller. Seiner vielfachen Verdienste wegen berief ihn 1792 die sächs. Regierung als Oberhofprediger, Kirchenrath und Oberconsistorialassessor nach Dresden, wo er durch seine geistvollen Predigten für Religion und Sittlichkeit wirkte, als Assessor des Kirchenraths für die Erhaltung und Fortführung des wissenschaftlichen Geistes auf den Universitäten und den drei sächs. Fürstenschulen sorgte, sowie auch durch seinen Einfluß das gesammte Volksschulwesen, der öffentliche Gottesdienst durch Einführung einer neuen Agende, neuer Gesangbücher und der allgemeinen Beichte eine verbesserte Gestalt erhielten. Indeß hatten frühere Entbehrungen, besonders in der Zeit der angehenden akademischen Wirksamkeit und die unausgesetzte Geistesanstrengung seine Gesundheit sehr geschwächt; ein unglücklicher Beinbruch 1803 hatte sie noch mehr erschüttert, und R. erholte sich seitdem nie ganz wieder bis an seinen am 6. Sept. 1812 erfolgten Tod. Drei Jahre früher lehnte er einen ehrenvollen Ruf nach Preußen, als Staatsrath und Mitglied der höchsten geistlichen Behörde ab. Zu den hervorstechendsten Eigenschaften R.'s gehörten seine Urtheilskraft und sein Alles durchdringender Scharfsinn, dagegen war sein Gedächtniß schwach, mehr Sach- als Wortgedächtniß und die zu haltenden Predigten pflegte er mehre Wochen früher zu arbeiten. Diese, die seit 1795 bis zu seinem Tode in einer Reihe von Jahrgängen im Druck erschienen sind; sein »System der christlichen Moral«, an welchem er sein ganzes Leben hindurch arbeitete; sein unvollendeter »Versuch über das Wunderbare und die Verwunderung«; die »Entwickelung des Plans Jesu«; seine »Geständnisse«, die seine Predigten und seine Bildung zum Prediger betreffen und für angehende Prediger wichtig sind, und »Über den Kleinigkeitsgeist in der Sittenlehre« sind seine vorzüglichen Schriften, die insgesammt das Gepräge einer hohen Geisteseigenthümlichkeit an sich tragen und die reife Frucht des Nachdenkens sind. Das Auszeichnende seiner Predigten, strenge Gedankenfolge, vielseitige Zergliederung des Hauptsatzes, Bestimmtheit und rednerische Fülle des Ausdrucks, war zum Theil die Folge seiner frühern Beschäftigung mit der Philosophie und seiner Vorliebe für griech. und röm. Beredtsamkeit, der er nachstrebte. Zwar besitzen sie mitunter etwas Einseitiges und Eintöniges, was eine freiere, vielseitigere, Herz und Gemüth mehr ergreifende Wirkung verhindert; nichtsdestoweniger sind dieselben Muster wohlgeordneter Vorträge, die mündlich ungemeinen Eindruck machten, ungeachtet der Vortrag R.'s nicht ausgezeichnet war und an den Kathederton erinnerte. R. war zweimal verheirathet, das eine Mal mit der reichen Witwe seines frühern Lehrers, des Professors Schmid in Wittenberg, das andere Mal mit Ernestine von Charpentier, der dritten Tochter des nachmaligen Hauptmanns von Charpentier in Freiberg, die ihn überlebte; beide Ehen waren kinderlos Der leeren Höflichkeit feind, liebte R. im Umgange Feinheit und Witz, den er selbst in hohem Grade besaß, ohne jedoch durch seine überwiegenden Kenntnisse beschwerlich zu sein R.'s Lebensbeschreibung und Charakteristik hat Pölitz (2 Bde., Lpz. 1815) herausgegeben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 663-664.
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