Todsünde

[445] Todsünde bezeichnet nach dem neutestamentlichen Sprachgebrauche die Verleugnung der Gnadenwirkungen des h. Geistes, vermöge welcher der Mensch dem Zustande des geistigen Todes anheimfällt, wo das Gute in ihm weder zur Anerkennung noch zur Ausführung kommt und das Leben nach allen Seiten im Denken, Fühlen und Wollen dem äußersten Verderben der Gottlosigkeit offen liegt. Die Todsünde wird demnach nicht in die Übertretung eines einzelnen Pflichtgebotes gesetzt, sondern umfaßt das ganze gottentfremdete Streben des Menschen, und erst später wurde der Ausdruck näher bestimmt, auf einzelne Sünden bezogen, welche eine in hohem Grade schwere Schuld des Sündigenden mit sich führen, als welche Augustin zuerst drei Todsünden: Gottesverachtung, Unkeuschheit, Menschenmord, annahm. Durch den Scholastiker Petrus Lombardus wurde die Anzahl derselben noch mehr erweitert und im Gegensatze zu den sieben Cardinaltugenden sieben Todsünden: Superbia (Hochmuth), Avaritia (Geiz), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Gola (Völlerei), Invida (Neid) und Acedia (Trägheit des Herzens) festgesetzt, denen im Einzelnen wieder die sieben Sacramente entsprechen, durch deren Wirkungen sie aufgehoben und ausgetilgt werden, obwol dies völlig nur unter Mitwirkung der Kirche geschehen kann, vermöge der ihr zustehenden Gewalt, von den Strafen der ewigen Verdammniß und des geistigen Todes zu erlösen. Dieses Verzeichniß wurde in den Lehrbegriff der katholischen Kirche aufgenommen und noch jetzt wird dasselbe als ein wichtiger Abschnitt für den Volksunterricht in Anwendung gebracht. Aber je mehr die Unterscheidung der Sünden in schwere und leichte den sittlichen Ernst verletzte und die äußerlichen Abbüßungen derselben der verderblichen Werkheiligkeit entgegenführte, um so richtiger machte schon der Zeitgenosse des Petrus Lombardus, Richard von St.-Victor, die Größe der Unsittlichkeit des Sündigenden, der Verletzung des Nächsten und der Verachtung Gottes zum Kennzeichen der Todsünde und von andern Scholastikern wurden auch die sogenannten schreienden Sünden: Todtschlag, Sodomiterei, Unterdrückung der Unschuld, Vorenthaltung des Lohnes, hierher gerechnet. In der protestantischen Kirche hat das Wort Todsünde keine eigenthümlich-kirchliche Bedeutung, sondern man versteht darunter nach dem biblischen Sprachgebrauche jede wissentliche und vorsätzliche Verletzung der h. Gebote Gottes, welche den Verlust seiner Gnade mit sich führt, und nur die göttliche Traurigkeit der Reue, nicht aber kanonische Büßungen vermögen den Menschen dem Verderben derselben zu entreißen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 445.
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