Utrecht

[547] Utrecht, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz des Königreichs der Niederlande (s.d.), ist in der europ. Geschichte durch die am 29. Jan. 1712 daselbst eröffneten Ministerconferenzen und den dadurch am 21. Apr. 1713 herbeigeführten utrechter Frieden berühmt, welcher dem span. Erbfolgekriege (s.d.) ein Ziel setzte. Frankreich und England hatten sich vorher schon so ziemlich im Geheim vereinigt über die Hauptbedingungen, dessenungeachtet ward durch Zögern und Unterbrechungen der Congreß auf vierzehn Monate ausgedehnt, diese Zeit aber vorzugsweise mit Festen und Lustbarkeiten ausgefüllt, sodaß U., von den niederländ. Städten keineswegs die umfänglichste oder reichste, der Vereinigungspunkt eines zahlreichen und merkwürdigen Theils der reichen und galanten Welt fast aller europ. Höfe war, indem von Zeit zu Zeit 40–50 Gesandte mit zahlreichem Gefolge anwesend waren und in Pracht und Aufwand wetteiferten. Nachdem England am 21. Apr. die franz. Vorschläge dem östr. Gesandten für ihn und das deutsche Reich übergeben hatte, überließ es ihm, sich deshalb allein mit Frankreich zu vereinigen, während sie und die andern bisherigen östr. Bundesgenossen ihre Friedensschlüsse vollzogen, die blos mit dem Gesammtnamen des utrechter Friedens bezeichnet werden, weil man sie an einem Orte unterhandelte und abschloß. Frankreich brachte an jenem Tage den Frieden mit England, mit Portugal, Preußen, Savoyen, und den Generalstaaten zu Stande. England gewann die franz. Anerkennung der Erbfolge des hanöv. Hauses, die Schleifung der Festung und des Hafens von Dünkirchen, die Abtretung der Hudsonsbai, der Inseln [547] St.-Christoph, Terreneuve u.a., jedoch mit Vorbehalt des franz. Stockfischfangs. Gegen Preußen verpflichtete sich Frankreich unter Anderm zur Anerkennung der Königswürde und dem Titel Majestät; Savoyen bekam Sicilien mit dem Königstitel, durch den Frieden mit den Generalstaaten ward Sardinien als Königreich zur Entschädigung des Kurfürsten von Baiern bestimmt. Spanien trat Gibraltar und Minorka an England ab und gab ihm auf 30 Jahre das Privilegium der Negerlieferung nach dem span. Amerika. Der Friede zwischen Frankreich und dem Kaiser und deutschem Reiche ward erst 1714 zu Rastadt und Baden, der zwischen Spanien und Östreich erst 1725 im Vertrag von Wien abgeschlossen. Im Allgemeinen ist an diesen Verhandlungen merkwürdig, daß sie eine Folge des geheimen Abfalls Englands vom Bunde gegen Frankreich und Spanien waren und Großbritannien zum Bewußtsein seines nachherigen Einflusses auf die Continentalmächte brachte, welcher der franz. Politik zuerst bestimmte Schranken setzte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 547-548.
Lizenz:
Faksimiles:
547 | 548
Kategorien: