Zwerg

[825] Zwerg, ein nach vollendetem Wachsthum ganz ungewöhnlich klein gebliebener Mensch, bei sonst regelmäßiger Körperbildung, wie deren als Spielarten hin und wieder vorkommen. Indessen gibt es auch viel ungestaltete, und große Köpfe, dicke Bäuche und misförmige Füße sind ihnen besonders eigen. Ältere Erzählungen von den Pygmäen und andern Zwergenvölkern sind längst als Fabeln anerkannt, dagegen kommt es wol vor, daß sich auch unter den großen und kräftigen Kindern großer und kräftiger Ältern ein Zwerg mit befindet. Ihre Geistesanlagen sind nicht immer beschränkt, eigenthümlich ist ihnen aber eine hohe Meinung und Eigenliebe von ihrer Person und eine Neigung zu Jähzorn und Rachsucht. Das gewöhnliche Maß derselben ist 30–40 Zoll. Man hielt schon an den Höfen mehrer Kaiser des alten Roms der Seltenheit wie der Kurzweil wegen Zwerge, und sie wurden deshalb überall aufgesucht und in allerhand Künsten und Fertigkeiten unterrichtet. Während der Ritterzeit und im ganzen Mittelalter waren sie nicht minder beliebt, dienten als Wächter auf den Thürmen der Burgen, begleiteten ihre Gebieter als vertraute Diener auf Reisen, und der Zwerg war es dann oft, welcher vor seiner Herrschaft her in die Burg oder Stadt ritt und sie anmeldete. Im 17. Jahrh. noch fehlten Zwerge selten an Höfen, und am span. Hofe soll 1629 ein Zwerg gelebt haben, dem beim Spazierengehen ein Zwergpferdchen von einem Stallbedienten nachgetragen wurde, bis der Zwerg etwa Luft bekam, es zu besteigen, wo dann das Rößlein und sein Reiter zusammen nur anderthalb Elle hoch gewesen wären. Noch im vorigen Jahrh. war ein sogenannter »Kammerzwark«, der zugleich als Hofnarr diente, an den meisten Höfen zu finden. In Petersburg waren 1710 einmal über 70, in Moskau 1713 über 90 Zwerge auf kais. Befehl zusammengebracht worden, welche Feste begingen, an denen blos Zwerge eigentlichen Antheil nehmen durften und wozu kleine Kutschen und kleine Pferde, sowie alles Übrige im Verhältnisse zu den kleinen Menschen angeschafft worden waren. Später verlor sich der Geschmack an dieser Art Prunk und jetzt läßt sich nur mitunter einmal ein Zwerg oder eine Zwergin auf Messen und Jahrmärkten für Geld sehen. Uralte Sagen und Märchen bevölkern auch in Deutschland Felsklüfte, Höhlen und unterirdische Räume mit Zwergen, z.B. auf dem Harze, und ihre angeblichen Wohnungen heißen hin und wieder noch Zwerglöcher, wie das Volk auch alte Urnen Zwergentöpfe zu nennen pflegt und sonst glaubte, sie wären unter der Erde von Zwergen gemacht worden. Man erzählte sich allerlei Gutartiges von dem kleinen Völkchen, das sich für alle Gefälligkeiten dankbar bezeigen, für Beleidigungen aber auch derb rächen sollte und Gegenden ganz verließ, wo man es ihnen zu arg machte. Sie verübten aber auch häufig Diebereien, weshalb sie z.B. von den Bewohnern der Umgegend von Quedlinburg vor langer Zeit ganz vertrieben wurden und noch vorher den angestellten Schaden ersetzen mußten. Man stellte deshalb an einem Berge, wo der Zwergenauszug vorüberging, ein großes Faß auf, in das jeder ein Geldstück werfen mußte und welches die Sage ganz mit alten Münzen von ihnen anfüllen läßt. In der nordischen Götterlehre sind die Zwerge die Zwischenwesen zwischen Göttern und Menschen. – Die Naturgeschichte bezeichnet häufig sehr kleine Arten von Thier- und Pflanzengattungen, die weit größere aufzuweisen haben, mit dem Zusatze Zwerg, wie z.B. Zwergadler, Zwergantilopen, Zwergastern, Zwergbirken, Zwergmäuse. Ebenso wendet die Gärtnerei diesen Ausdruck an, indem sie als Zwergbäume die von Natur niedrigen oder künstlich niedrig gehaltenen Bäume, welche sich gleich über der Wurzel in Zweige ausbreiten, mehre kleine Äpfelforten als Zwergäpfel und andere niedrig wachsende oder kleine Gartenfrüchte (Zwergbohnen, Zwergerbsen) damit bezeichnet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 825.
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