Menschenrassen

[165] Menschenrassen. Der erste, der in der Neuzeit eine wissenschaftliche Einteilung des Menschengeschlechts versuchte, war Linné (1766); er teilte sein mit Affen, Halbaffen und Fledermäusen in dieselbe Ordnung der Primaten eingereihtes Geschlecht der Menschen (Genus Homo sapiens L.) in zwei Arten (Species): den Tagmenschen (Homo diurnus L.) und den Nachtmenschen (Homo nocturnus L.); der letztere ist der »Orang-Outang« des Bontius. Der Tagmensch zerfällt in vier Rassen nach den bekannten vier Kontinenten mit Berücksichtigung körperlicher und geistiger (ethnogr.) Eigenschaften, unter erstern namentlich die Hautfarbe sowie Farbe und Bildung der Haare, unter letztern die vier Temperamente und die Kleidung: Amerikaner, Europäer, Asiate, Afrikaner. Blumenbach (1795) fügte zu den vier geogr. Rassen Linnés für die neuerschlossene Inselwelt des fünften Erdteils noch eine fünfte M., die malaiische. Bei seiner Rassenaufstellung benutzte er vor allem noch die verschiedenen Kopfformen. Er stellte auf: Kaukasier, Mongolen, Äthiopier, Amerikaner, Malaien (kaukas., mongol., äthiop., amerik., malaiische Rasse). Der engl. Arzt und Naturforscher Prichard baute auf dieser Grundlage ein ethnolog. System der M. auf, ihm folgten Horatio Hale u.a. In Deutschland hat man bis zum Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrh. an der Blumenbachschen Einteilung der Rassen festgehalten, während man in Frankreich noch heute Cuvier folgt, der die Menschheit nach ihrer Hautfarbe und andern anatom. Kennzeichen in drei Rassen (nach den drei Söhnen Noahs) einteilt: in eine weiße, gelbe und schwarze, wobei für feinere Abgrenzungen [165] auch Gewicht auf die Sprachunterschiede und ethnogr. Verhältnisse gelegt wird.

256. Gemeiner Brachsen.
256. Gemeiner Brachsen.
438. Dolichokephalie.
438. Dolichokephalie.
Bevölkerung. II. (Karten) Volksdichte auf der Erde. Verbreitung der Menschenrassen nach C. H. Stratz. Verbreitung der Menschenrassen u. Sprachen nach F. Müller u. O. Peschel. Verbreitung der Religionen auf der Erde.
Bevölkerung. II. (Karten) Volksdichte auf der Erde. Verbreitung der Menschenrassen nach C. H. Stratz. Verbreitung der Menschenrassen u. Sprachen nach F. Müller ...
Menschenrassen. I. 1. Australierin. 2. Australierin. 3. Papua. 4. Frau vom Bismarckarchipel. 5. Buschmannweib. 6. Akka. 7. Niam-Niam. 8. Herero. 9. Bantu-Zulu. 10. Madagassin. Sansibar-Zulu 11. Togonegerin. 12. Sudannegerin. 13. Feuerländerin. 14. Karayá. 15. Araukanerin. 16. Maori. 17. Samoanerin. 18. Dajak. 19. Batak. 20. Javanin.
Menschenrassen. I. 1. Australierin. 2. Australierin. 3. Papua. 4. Frau vom Bismarckarchipel. 5. Buschmannweib. 6. Akka. 7. Niam-Niam. 8. Herero. 9. Bantu-Zulu. ...
Menschenrassen. II. 21. Eskimo. 22. Samojedin. 23. Chinesin. 24. Japanerin. 25. Siamesin. 26. Birmanin. 27. Lappin. 28. Tatarin. 29. Ainufrau, tätowiert. 30. Wedda. 31. Tamil. 32. Singhalesin. 33. Perserin. 34. Araberin. 35. Ägypterin. 36. Maurin. 37. Romanin. 38. Slawin. 39. Germanin, dunkel. 40. Germanin, blond.
Menschenrassen. II. 21. Eskimo. 22. Samojedin. 23. Chinesin. 24. Japanerin. 25. Siamesin. 26. Birmanin. 27. Lappin. 28. Tatarin. 29. Ainufrau, tätowiert. 30. ...
Ethnographie. I. 1. Akka-Mädchen (Zentralafrika). 2. Wedda mit Lendenschurz aus Blättern (Ceylon). 3. Bajansi (Kongo). 4. Kajan-Dajak-Mädchen in Männerkleidung, zum Tanze gehend (Borneo). 5. Alfuren-Häuptling im Kriegsschmuck (Ostflores). 6. Schan-Mädchen (Hinterindien). 7. Malaiische Braut (Sumatra). 8. Birmanische Prinzessin. 9. Windschirm der Pueblo-Indianer (Tusayan, Nordamerika). 10. Zelte der Omaha (Nebraska). 11. Jurte der Katschinzen aus Birkenrinde (Ostsibirien). 12. Wacht- und Zufluchtshaus der Koiari (Britisch-Neuguinea). 13. Runder Pfahlbau (Häuptlingshütte) auf Condul Island, Gross-Nikobar. 14. Haus der Ewe in Dalawe (Südtogo). 15. Tembe in Ugogo (Deutsch-Ostafrika). 16. Schneehaus der Eskimo (Baffinland, Davisstr.).
Ethnographie. I. 1. Akka-Mädchen (Zentralafrika). 2. Wedda mit Lendenschurz aus Blättern (Ceylon). 3. Bajansi (Kongo). 4. Kajan-Dajak-Mädchen in ...

Unter den neuesten Systemen unterscheidet man solche, die auf rein körperlichen (somatischen) Merkmalen fußen, und andere, die neben und vor diesen die sprachlichen (linguistischen) Unterschiede ins Auge fassen. Unter den rein somatischen Systemen ist das bekannteste das allein auf den Schädelbau sich gründende kraniologische System von A. Retzius. Er verwandelte die schätzende Methode Blumenbachs in eine messende, mathematische, indem er zunächst das Verhältnis der Länge zur Breite des Hirnschädels in einen zahlenmäßigen Ausdruck (Schädelindex) brachte; die relativ schmalen Schädel nannte er Langköpfe, Dolichokephalen [Abb. 438], die relativ breiten Schädel Kurzköpfe, Brachykephalen [Abb. 256], zu welchen dann später, durch Welcker und Broca, noch die Gruppe der zwischen diesen Extremen stehenden Mittelköpfe, Mesokephalen, kam. Schon P. Camper hatte am Ende des 18. Jahrh. bei den Negern ein schnauzenförmiges Vorspringen der Mundpartie der Kiefer beobachtet und die Messung derselben in seinem »Camperschen Gesichtswinkel« (s. Camper) gelehrt; Prichard sah das gleiche Vorspringen der Mundpartie bei andern niedern M. und erfand dafür die Bezeichnung Schiefzähner (Prognathen), welchen die Menschen mit senkrecht übereinander stehenden Schneidezähnen, die Geradzähner (Orthognathen), gegenüberstehen. Retzius gruppierte nun die Menschen nach ihrer Schädelbildung, und zwar nach der relativen Länge und Breite des Hirnschädels, wobei er zugleich die Ausbildung der Kiefer berücksichtigte. R. Virchow, Welcker, Broca, J. Kollmann u.v.a. bauten dieses Retziussche System weiter aus.

Im nähern Anschluß an Linné, Geoffroy Saint-Hilaire u.a. stellte Franz Pruner, die Beschaffenheit der Behaarung der Menschen zugrunde legend, folgendes System auf: I. Wollhaarige Rassen: a. Büschelhaarige, b. Vlieshaarige. II. Schlichthaarige Rassen: a. Straffhaarige, b. Lockenhaarige. – Andere suchen die verschiedenen körperlichen Merkmale für ihr System zusammen zu benutzen, wie P. Topinard und Huxley: Größe und Proportion des Körpers, Haut- und Haarfarbe, Haarform, Haarreichtum, Schädelform und sonstige Skeletteigentümlichkeiten u.a. Demnach unterscheidet Huxley vier, bez. fünf Rassen oder Typen: 1) australoider Typus (V, X, XI F. Müllers, s. unten); 2) negroider Typus (I-IV F. Müllers); 3) mongoloider Typus (VI-IX F. Müllers); 4) und 5) der weiße Typus (XII F. Müllers), und zwar 4) der xanthochroische Typus, die Blond-Weißen, und 5) der melanochroische Typus, die Brünett-Weißen, welche letztere Huxley für eine Mischung der Blond-Weißen mit dem australoiden Typus hält. Diesen rein somatischen Systemen stehen linguistische und gemischt somatisch-linguistische Systeme gegenüber.

Der wichtigste Versuch einer systematischen Anordnung der Völker, vorwiegend nach dem Gesichtspunkt der Sprache, wurde von F. Müller gemacht, der (1868 und 1873, bez. 1879) folgendes System (12 Rassen) aufstellte: A. Wollhaarige Rassen. a. Büschelhaarige: I. Hottentotten und Buschmänner, II. Papua. b. Vlieshaarige: III. Afrik. Neger, IV. Kaffern (Bantu). B. Schlichthaarige Rassen. a. Straffhaarige: V. Australier, VI. Hyperboreer, VII. Amerikaner, VIII. Malaien, IX. Mongolen oder Hochasiaten. b. Lockenhaarige: X. Nuba-Fulbe, XI. Drawida, XII. Mittelländer. Müllers Einteilung wurde von O. Peschel (1874), jedoch mit Hinweglassung des Einteilungsgrundes nach der Beschaffenheit der Behaarung und unter Zusammenziehung je mehrerer Rassen in eine, angenommen. Dieses System hat bisher in Deutschland die weiteste Verbreitung gefunden, da es von E. Haeckel aufgenommen wurde. Peschel stellte folgende sieben Rassen auf [Karte: Bevölkerung II, 3]: I. Australier, II. Papua, III. Mongolen, IV. Drawida, V. Hottentotten und Buschmänner, VI. Neger, VII. Mittelländische Rasse.

Über den Ursprung der M. sind die Ansichten noch sehr geteilt. Die alte, Cuviersche Auffassung nimmt, an die biblische Überlieferung sich anlehnend, eine gleichzeitige Schöpfung mehrerer verschiedener Menschenarten an (polygenetischer Ursprung); danach sollen die Rassen einen unveränderlichen Dauertypus besitzen. Die neue, auf Darwins Entwicklungstheorie weiterbauende Auffassung nimmt nur einen Urtypus der Menschen an (monogenetischer Ursprung), aus dem sich die verschiedenen Rassenformen durch Anpassung gebildet haben. Die letztere Ansicht darf als die jetzt herrschende bezeichnet werden. Zu erwähnen wäre noch Kollmanns Pygmäentheorie, nach der alle jetzigen Menschengruppen aus Zwergrassen hervorgegangen sein sollen. Die wichtigste Stütze für die neuere Auffassung der M. und ihren monogenetischen Ursprung war der wissenschaftliche Nachweis, daß Kreuzungen sämtlicher M. untereinander möglich und fortpflanzungsfähig sind.

Im J. 1881 sonderte Fritsch auf Grund dieser Tatsache von den drei Hauptrassentypen (Cuviers) die metamorphen oder gemischten Rassen ab. Erst 1901 baute Stratz diese Auffassung weiter aus, indem er neben den drei Hauptrassen oder archimorphen Rassen und den metamorphen oder Mischrassen auch die Reste älterer Rassen als protomorphe Rassen zusammenfaßte. 1902 trat Klaatsch mit einer völligen Umarbeitung der anthropol. Wissenschaft auf Grund der Ergebnisse der Entwicklungsgeschichte und vergleichenden Anatomie hervor, womit der neuern Forschung weitere und streng wissenschaftliche Ziele gesteckt sind (Entstehung und Entwicklung der Menschheit in: »Weltall und Menschheit«, II, Bd. 2, Berl. 1902, S. 1-339). Ihm schloß sich Stratz (»Naturgeschichte des Menschen«, Stuttg. 1904) an, der den ersten Versuch machte, die M. in rein anatom. Sinne zu Gruppen älterer und jüngerer Rassenformen zu vereinigen [Karte: Bevölkerung II, 2].

Sieht man von jeglicher systematischen Einteilung ab, so ergibt sich bei Betrachtung einwandsfreier Photographien eine mit zunehmender Entwicklung stets fortschreitende Vervollkommnung des menschlichen Körpers, die sich namentlich im Gesicht durch die feinere Ausarbeitung der Züge kennzeichnet. Auf nebenstehenden Tafeln: Menschenrassen I u. II sind (absichtlich) Frauenköpfe dargestellt worden, weil sie den Rassencharakter, schon wegen des Fehlens der Gesichtshaare, viel schärfer und reiner zum Ausdruck bringen.

Der niedrigste Typus (Klaatsch, Huxley, Peschel, Stratz) wird durch die austral. Urrasse dargestellt [1 u. 2], der die papuanische Urrasse [3] sehr nahe steht; metamorphe Formen dieser Rasse bilden die Melanesier [4]. Den nächst höhern Typus bilden die Koi-koin oder Buschmann-Urrasse (Fritsch, Peschel [5]), denen die Akka, ein zentralafrik. schwarzes Zwergvolk, sehr nahe verwandt scheinen [6]. Übergangsformen dieser Urrasse zu der eigentlichen schwarzen Hauptrasse (Mischrassen) zeigen die Niamniam [7] und Herero [8]. Reine Vertreter der schwarzen Hauptrasse sind die Bantu in Südafrika [9] und Madagaskar [10]; metamorphe Formen mit Annäherung an den Typus der weißen Hauptrasse zeigen die Togoneger [11] und die Sudanneger [12].

Die amerik. Urrasse, die wahrscheinlich nach Abspaltung der schwarzen Hauptrasse entstanden ist, da sie die wichtigsten Elemente der spätern gelben und weißen Hauptrasse in sich vereinigt (Stratz), ist am reinsten in Amerika erhalten [13, 14 u. 15]. Ihr nahe verwandt oder gleichwertig scheinen die ozeanischen Gruppen der Maori [16], Samoaner [17], Dajak [18] und Batak [19] zu sein, während die Javanen [20] eine stärkere Annäherung zur gelben, mongol. Hauptrasse zeigen.

Die gelbe Hauptrasse ist durch Fig. 21-28 vertreten; die älteste, den Amerikanern am nächsten stehende Urform zeigen die Eskimo [21], den reinen Rassentypus haben am ausgeprägtesten die Samojeden [22] und Chinesen [23], während die Japaner [24] ebenso wie die Siamesen [25] eine stärkere Hinneigung zur weißen Rassenform zeigen. Als ausgesprochen metamorphe Formen sind die Birmanen [26] in den südl. Grenzgebieten, die Lappen [27] und Tataren [28] in den nördlichen zu betrachten.

Der weißen Hauptrasse gehören die Fig. 29-40 an. Als dem weißen Stamm angehörige Urrassen können die Ainu (Baelz, ten Kate, Koganei [29]) und die Wedda (Sarasin [30]) betrachtet werden. Den Wedda schließen sich in höherer Entwicklung an die Drawida, Tamil (Tamulen [31]) und Singhalesen [32]. Asiat. Vertreter rein weißer Rasse sind die Perser [33] und Araber (Beduinen [34]). Von Asien verzweigt sich die weiße (Mittelländ.) Rasse um das Mittelländ. Meer und ist dort im Süden schwarze, im Norden gelbe Metamorphien eingegangen. Vertreter des südl. Zweiges sind die Ägypter [35] und Mauren [36]. [166] In Europa unterscheidet man als wichtigste Vertreter die Romanen (Spanien, Italien, Griechenland, Frankreich [37]), die Slawen (Rußland-Polen [38]) und die Germanen (Österreich, Deutschland, England, Niederlande, Dänemark, Skandinavien [39 u. 40]); im Süden herrscht der dunklere [39], im Norden der blonde Typus [40] vor. (S. auch Tafel: Ethnographie I, 1-8 und die Einzelartikel der Rassen. Statistisches s. Erde; Literatur s. Mensch.)

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 165-167.
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