Sand, George (Madame Dudevant)

[48] Sand, George (Madame Dudevant), George, Madame Dudevant, hat durch ihre literarischen Arbeiten und durch ihr Auftreten in der Welt großes Aufsehen erregt. Wenige Tage nach der Juli-Revolution kam Mdme D., als Jüngling verkleidet, nach Paris. Die Nachricht dieser politischen Umwälzung scheint das Gemüth dieses sonderbaren jungen Weibes begeistert, und ihrem Sinne eine ganz eigenthümliche Richtung gegeben zu haben. Sie war jung und zwar nach dem, was sich in allen ihren Werken deutlich ausspricht, unglücklich verheirathet worden. So kam sie im Anfang August 1830 nach der Hauptstadt, galt für einen achtzehnjährigen Jüngling und lebte als solcher. In der ersten Aufwallung ihres Gemüthes, in welchem sich eine Menge verschiedenartiger Ideen durchkreuzen mochten, schrieb sie in wenigen Wochen einen Roman, den ersten schriftstellerischen Versuch ihres Lebens. Sie trug das Manuscript zu einem Buchhändler und bekam vierhundert Franken dafür. In diesem Erstlinge ihrer Muse zeigte sich schon der Keim ihres seltenen Talentes. Nun aber schrieb sie Indiana und Valentine; beide Romane machten sie bald zur gefeiertsten Schriftstellerin von Paris, und Jeder suchte ihre Bekanntschaft zu machen. Man fand nicht allein eine sehr geistreiche, sondern auch eine sehr schöne Frau voll Anmuth[48] und Würde. In ihrem großen, braunen, hervortretenden Auge liest man die Lebhaftigkeit ihres Geistes, und die etwas gebogene Nase verleiht ihrem Gesichte einen Ausdruck von Entschlossenheit, mit weiblicher Anmuth gepaart. Ueberhaupt vereinigt sich in ihr eine seltsame Vermischung der Schönheiten beider Geschlechter, allein die Zierlichkeit des Körpers und die Anmuth der Bewegungen geben den Ausschlag, und man muß einer schönen Weiblichkeit darin den Vorrang zuerkennen. Im Jahr 1836 hat sie das Publikum mit dem Prozesse ihrer Scheidung von Herrn Dudevant beschäftigt; sie gewann denselben, und trennte sich mit ihrem bedeutenden Vermögen von Letzterem. Gegenwärtig lebt sie in Paris, oder auf dem Lande in der Umgegend der Hauptstadt. Zwischen ihr und Listz (s. d.), besteht ein sehr vertrauliches Verhältniß, das aber nicht durch die Liebe geknüpft ist, so wie sie überhaupt ihre Sitten rein zu erhalten wußte. In ihren Werken spricht sich die größte Abneigung gegen die ehrwürdige Einrichtung der Ehe aus, die wohl noch nie eine so leidenschaftliche, unversöhnliche Gegnerin gefunden hat. Es muß überraschen, daß gerade eine weibliche Feder Entsittlichung predigt und Hymen den Krieg erklärt; auch möchten wir noch darum mit ihr rechten, daß sie wegen eines einzelnen Falles einen allgemeinen Schluß zieht, und weil sie in der Ehe unglücklich war, diese selbst verdammt. Ihre Romane, Indiana, Valentine, Leone Leoni, Lelia und endlich Jacques, sind die verschiedenartigen Entwickelungen des gleichen Gedankens, die stückweise Zergliederung der nämlichen Abneigung. Kein Schriftsteller ist bis jetzt tiefer in die tausend Widerwärtigkeiten eines schlechten Haushaltes eingedrungen; keiner hat mit größerem Scharfsinn die Ursachen ähnlicher Zerwürfnisse und ihre langsamen, unausweichbaren Wirkungen beleuchtet, aber daraus entspringt zugleich die natürliche Folge, das Wenige außer G. S. den gebornen Feind der Ehe, unerlaubte Liebe, mit solcher Beredsamkeit verherrlicht und dem Ehebruche mit so glänzenden Farben das Wort geredet haben. Sie[49] wirft allen Ehemännern den Fehdehandschuh hin, indem sie deren Schwäche und Unbeständigkeit das ganze Unglück des weiblichen Geschlechts zuschreibt, aber auf dem umgestürzten Altar der Ehe erhebt sie die Liebe, als das einzige wahrhaft Seiende in der Welt, die höchste, einzige, anzuerkennende Macht des Lebens, die sich über alle gewöhnliche Moral, über Sitte und jedes einschränkende Verhältniß hinwegsetzt. In der Verfolgung dieses Grundgedankens hat G. S. mehr Ausdauer und Festigkeit bewiesen, als gewöhnlich Frauen in ihren Plänen und Schlüssen verrathen: sie besitzt männliche Standhaftigkeit in ihren weiblichen Antipathien. Aber die bewundernswerthe Kunst, die sie in ihrer Fehde gegen die Ehe entwickelt, bringt meistens die entgegengesetzte Wirkung von der beabsichtigten hervor, und dieß wird jedes Mal geschehen, wenn eine Institution angegriffen wird, die alt wie die Welt, durch Jahrhunderte erprobt ist, und selbst zu jener Zeit geachtet wurde, als das Weib noch nicht auf gleicher Stufe mit dem Manne stand. Wenn die Menschen nicht für die Ehe taugen, warum muß dann diese die Schuld tragen? Dieses möchten wir von den meisten handelnden Personen in G. S's Romanen sagen; bald sind es rohe, ungebildete Naturen, die den ersten Anstoß geben, bald mit romantischen Ideen ausgestattete Wesen, die für das wirkliche Leben nicht taugen und sich in kein Verhältniß finden können. Gehen wir jedoch in die Einzelnheiten ihrer Werke ein, so finden wir in ihnen ungemein viel Tiefes, Wahres und Durchdachtes, so daß wir hinzufügen möchten, sie vertheidige falsche Grundsätze und Meinungen mit richtigen Ideen. Ihr Styl ist leicht, bilderreich, geglättet und schließt sich im Allgemeinen der Schreibart des sogenannten jungen Frankreichs an. Ein geistreicher, französischer Schriftsteller, Jules Janin, sagt über die Arbeiten der Mdme Dudevant, daß sich in ihnen zwei Naturen offenbaren; bald sei ihr Styl kräftig, kühn, phantasiereich, bald zart, weich und bescheiden, und oft scheine es, als rühre ein Theil von einer männlichen Feder, der andere von einer weiblichen her.

E. v. E.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 48-51.
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