Dudevant

[376] Dudevant (spr. Düdewang), Aurore Amandine (pseud. George Sand), geb. 5. Juli 1804 in Paris, Tochter Dupins (eines Sohnes des Grafen Moritz von Sachsen). Ihre Mutter war von Geburt eine Zigeunerin u. lebte mit ihrer Großmutter, einer aristokratisch gebildeten Dame, in fortwährendem Unfrieden, ein Verhältniß, welches bei dem frühen Tode des Vaters auf die Erziehung der Tochter, um welche sich beide Frauen stritten, von nachhaltigem Einflusse war. Um aus diesem traurigen Familienverhältnisse herauszukommen, suchte Aurore Zuflucht in einem Kloster, kehrte aber unbefriedigt von dem klösterlichen Leben zu ihrer Großmutter zurück, bei welcher sie bis zu deren Tode 1822 blieb. Eine Testamentsclausel, welche die Mutter auch fernerhin von der Erziehung der Tochter ausschließen sollte, wurde mit Hülfe der Gerichte von der Ersteren umgestoßen, u. diese begann nun ihren Groll durch Quälereien aller Art an der Tochter auszulassen. Unter den peinlichsten häuslichen Umständen lernte Aurore damals einen jungen Offizier, Dudevant, kennen, kam mit ihm in ein intimes Verhältniß u. setzte gegen den Willen der Mutter endlich ihre Vermählung mit demselben durch. Seit 1822 lebte sie mit ihm auf ihrem Gute Nohant in friedlicher Ehe, aus welcher eine Tochter u. ein Sohn hervorgingen. Aber bei der excentrischen Natur, dem überspannten Wesen u. der überwiegenden geistigen Begabung Auroren's wurde dieser das eheliche Band von Jahre zu Jahre lästiger. Dazu kam, daß ihre Vermögensverhältnisse nicht der Art waren, um Neigungen u. Liebhabereien nach Wunsch befriedigen zu können. Mit dem Vorsatze, durch Schriftstellerei sich ein unbeschränkteres Leben zu verschaffen, schied sie daher 1831 in bester Freundschaft von ihrem Manne u. ging, ihre Tochter mit sich nehmend, nach Paris. Dort begann sie, um das Leben zu studiren u. Motiven für novellistische Arbeiten zu sammeln, in Männerkleidern die öffentlichen Orte zu besuchen, knüpfte in literarischen Kreisen zum Theil sehr intime Verhältnisse an u. bewog Jules Sandeau, mit welchem sie befreundet wurde, ihren ersten Versuch auf dem Gebiete des Romans, Rose et Blanche, zu überarbeiten u. zu veröffentlichen[376] Er erschien unter Abkürzung von Sandeau's Namen als verfaßt von Jules Sand. Bei ihren späteren Romanen ersetzte sie »Jules« durch »George« u. behielt nun das Pseudonym bei. Im Verkehr mit den angesehensten Schriftstellern, welche damals in Paris lebten, namentlich unter dem Einfluß Balzacs u. G. Planche's, welcher ihr die Spalten der Revue de deux mondes öffnete, entwickelte sich rasch ihr Talent zur poetischen Darstellung des Lebens. Auf einer Reise nach Italien 1833 lernte sie Beyle kennen u. in Venedig Alfred de Musset, dem sie sich aufs engste anschloß. In ihrer Lebensanschauung näherte sie sich mehr u. mehr den destructiven Tendenzen, welche von den Anhängern des Socialismus damals zur Vernichtung der hergebrachten Formen u. Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft mit großem Erfolg verbreitet wurden. Ihre Romane fanden großen Beifall, theils wegen ihrer Tendenz, die fast ausschließlich das Capitel von der socialen Stellung der Frauen behandeln u. nicht selten, ohne gerade schlüpfrig zu sein, Dinge verherrlichen, welche mit den hergebrachten Begriffen von Sitte u. Pflicht in grellem Widerspruche stehen; theils wegen ihrer hohen Begabung in der Darstellung einzelner Momente u. Situationen der wirklichen Welt, die einen eigenthümlichen Contrast zu den vielen Abirrungen, Verkehrtheiten u. Geschmacklosigkeiten in ihren philosophischen Reflexionen u. phantastischen Einfällen bilden. Da sie auch im Leben die Grundsätze der Emancipation beobachtete, so gerieth sie zu ihrem Manne in eine immer schiefere Stellung, zumal derselbe durch falsche Speculationen einen großen Theil ihres Vermögens durchgebracht hatte. Sie machte deshalb 1835 gegen ihn einen Scheidungsproceß anhängig, gewann denselben u. lebte nun abwechselnd in Nohant u. in Paris, wo sie mit Franz Liszt, Madame Dorval, Lamennais u.a. hervorragenden Persönlichkeiten der Künstler- u. Schriftstellerwelt verkehrte. In ein sehr vertrautes Verhältniß trat sie 1837 zu Chopin, mit welchem sie nach Majorca reiste u. später in Paris u. Nohant zusammenlebte. Dies Verhältniß löste sich 1847 in Folge eines Zwistes zwischen ihm u. ihrem Sohne. Als die Februarrevolution 1848 ausbrach, betheiligte sie sich lebhaft an den aus derselben hervorgehenden Ereignissen, u. aus ihrer Feder flossen mehrere der leidenschaftlichen Manifeste, welche von der revolutionären Regierung in der ersten Zeit der Republik ausgingen. Nach dem Staatsstreiche im Dec. 1851 begab sie sich auf kurze Zeit nach Brüssel, kehrte aber später nach Paris zurück. Auf die Entwickelung der Französischen Literatur der neusten Zeit hat George Sand einen großen Einfluß geübt, in so fern sie jene Gattung des Romans ins Leben rief, welchem die Verherrlichung des Gemeinen in der Menschennatur, die Beschönigung des Lasters u. der niedrigen Leidenschaft zum Vorwurf dient. Verderblicher als ihre eigenen Schöpfungen, da diese sich noch auf einer gewissen ästhetischen Höhe hielten, wirkten die Erzeugnisse ihrer Nachahmer, welche die fabrikmäßige Romanschreiberei mit dem widrigsten Raffinement ins Große trieben, auf die Gesittung u. den Geschmack ihrer Zeit, so die Romane von E. Sue, A. Dumas etc. Am glänzendsten offenbart sich ihre poetische Begabung in den kleinen Erzählungen, welche, freier von tendenziöser Beimischung, sich strenger an die Wiedergabe des wirklichen Lebens namentlich der ländlichen Bevölkerung halten. Diese fallen in die spätere Zeit ihrer schriftstellerischen Thätigkeit. Mit ihren dramatischen Versuchen war sie weniger glücklich. Fast alle ihre Schriften sind mehrfach ins Deutsche u.a. Sprachen übersetzt; sie schrieb: Romane: Rose et Blanche, 1831, 5 Bde.; Indiana, 1832, 2 Bde.; Valentine, 1832, 2 Bde.; Lélia, 1833, 2 Bde.; Le secrétaire intime, 1833, 2 Bde.; Jacques, 1834, 2 Bde.; Léone Léoni, 1834; André, 1835; Simon, 1836; Maupart, 1837, 2 Bde. (deutsch von F. Tarnow, 1838); Contes vénitiens: La dernière Aldini; Les maîtres mosaïstes, 1838; L'Uscoque, 1839; Spiridion, 1839; Pauline, 1839; Gabriel, 1840; Le sept cordes de la lyre, 1840 (dramatisirt); Le compagnon du tour de France, 1840, 2 Bde.; Horace, 1842, 3 Bde.; Consuelo, 1842–43, 8 Bde.; La comtesse de Rudolstadt, 4 Bde., 1843–45; Jeanne, 1844, 8 Bde. (deutsch von Funk); Le meunier d'Angibault, 1845; Isidora, 1846; Teverino, 1846, 2 Bde.; Lucrezia Floriani, 1847, 2 Bde.; Le péché de M. Antoine, 1846, 2 Bde.; Le Piccinino, 1848, 5 Bde.; La petite fadette, 1848, 2 Bde.; La filleule, 1855, 2 Bde.; Laure, 1855, 2 Bde.; Le diable aux champs, 1856, 3 Bde.; Evenor et Leucippe, 1856, 2 Bde.; Les dames vertes, 1857; La Daniella, 1857, 6 Bde.; Les beaux messieurs de bois-doré, 1858. kleinere Erzählungen u. Dorfgeschichten: Mouny Robin, 1841; Melchior, 1841; La mare au diable, 1846; La noce de campagne, 1846; François le Champi, 1847 (auch dramatisirt); Dramen: Cosima, 1840; Claudie, 1851; Le vacances de Pandolphe, 1852; Maitre Favilla, 1855; Reisebeschreibungen u. andere Schriften: Lettres d'un voyageur, 1837, 2 Bde.; Un hiver à Majorque, 1842, 2 Bde.: La cause du peuple, 1848; Lettres au peuple, 1848; Histoire de ma vie, 1855, 13 Bde. Mit Leroux u. Viardot gründete sie die Zeitschrift Revue indépendante u. schr. im Auftrage Ledru-Rollins 1848 die Bulletins der Provisorischen Regierung; arbeitete auch für mehrere republikanische Journale, z.B. für La vraie République, in Betreff der Organisation der Arbeit u. Verbesserung des Looses der Arbeiter.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 376-377.
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