Trier

[192] Trier. Das Haupt geschmückt mit dem Perlendiademe herrlicher Erinnerungen, mitten aus den Trümmern der römischen Vorzeit und den Weingärten der Mosel erhebt sich die uralte Aogusta Trevirorum, das katholische T., ehemals die Residenz eines der drei geistlichen Kurfürsten des römischen Reichs, jetzt die Hauptstadt des preuß. Regierungsbezirkes gl. N. Silbern schlängelt sich zu ihrer Linken der Miniaturrhein, die Mosel, vorbei, von Sehnsucht gedrängt, liebend in den Schoos des Vater Rheins zu sinken; smaragdgrün erschimmern Luxemburgs Nachbarhügel; des nahen Frankreichs Lüfte wehen buhlerisch herüber: – doch immer tiefer hüllt sich die eingealterte Stadt in ihren Matronenmantel; senkt wehmüthig die tiefbraunen, katholischen Augen auf die Ruinen der Römerzeit, auf die porta alba und porta nigra (die jetzt fast ganz abgetragene Simeonskirche), auf die steinalte, achtbogige Moselbrücke, das Amphitheater (der Kaskeller) und den Aquädukt, oder betrachtet sinnend das erst in eine Kaserne verwandelte ehemalige kurfürstliche Schloß mit dem römischen Heidenthurme, die Cathedrale mit ihren kunstreichen Altären und ihrer marmornen Galerie, in der jetzt kein Erzbischof mehr den Segen spendet, oder die drei alten Abteien der Vorstädte, welche die neue Zeit in Kasernen und Fabrikgebäude umwandelte. Schmerzlich wendet sie den Blick und fühlt es tief, daß sie sei die letzte Leidtragende an der Bahre des römischen[192] Reichs, die äußerste deutsche Erinnerungswarte vor Frankreichs sturmbewegtem Norden, der letzte einsame Stern in dem goldgestickten Purpurmantel der deutschen Rheinlande. Doch – lustig wogt es auf den engen und unregelmäßigen Straßen auf und nieder; die 18,500 Einwohner scheinen es zu fühlen, daß eine neue Zeit gekommen sei mit andern und größeren Mühen und Hoffnungen; ein neues Leben blüht aus den Ruinen unter Borussia's Adlerpanier! Sitz der Regierung, eines Bischofs und Domcapitels, eines Handelsgerichts, Friedensgerichts und der Kreisbehörden für den Stadt- und Landkreis, besitzt T. ein treffliches Gymnasium mit einer 70,000 Bd. starken Bibliothek, ein Naturaliencabinet, eine gelehrte Gesellschaft mit einem Museum der Alterthümer, ein katholisches Schullehrer- und Priesterseminar, ein Landarmen- und Irrenhaus, ein großes Hospital, eine Hebammenbildungsanstalt, Bürger- und Musikschule und eine landwirthschaftliche und Strafanstalt. Obst- und Weinbau, Wollweberei, Wachsbleichen, Fabriken in Seife, Leder und Tabak, Schifffahrt Und Handel mit Moselwein und Holz bilden lebhafte Erwerbszweige. Das Theater in der Stadt und die angenehmen Spaziergänge und Lustörter in der reizenden Umgegend gewähren die angenehmste Unterhaltung. Und damit dem irdischen Glanze, welcher in goldenen Rebenzweigen die altkatholische Stadt umfängt, auch der höhere nicht fehle, schuf in ihr der Lichtengel religiöser Toleranz den Protestanten einen der herrlichsten Gottestempel, – die prächtige Liebfrauenkirche.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 192-193.
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