Viadukte

[795] Viadukte (Talbrücken) dienen zur Ueberführung eines Verkehrsweges über eine Bodensenkung. Im Gegensatz zu andern Brückenbauwerken ist ihre Ausführung nicht durch die Freihaltung des unterhalb befindlichen Raumes zu Zwecken des Verkehres oder Wasserabflusses bedingt, sondern sie gelangen hauptsächlich aus Rücksichten für die Kostenersparnis an Stelle einer vollen Dammschüttung oder einer mit einem Damme überschütteten gewölbten Brücke oder eines Durchlasses zur Ausführung.

Die Höhengrenze, von welcher an ein Viadukt bereits billiger zu stehen kommt als eine Dammschüttung, hängt ab vom Grundeinlösungspreise (Hochbahnen in geschlossenen Ortschaften werden immer auf Viadukten geführt werden) und von den Einheitspreisen der Dammschüttung gegenüber jenen eines Viaduktbaues; durchschnittlich ist dieselbe bei 18–20 m gelegen, doch können besondere Umstände- teure Grundpreise, unzuverlässiges, zu Rutschungen geneigtes Aufschüttungsmaterial, ästhetische Rücksichten – den Viaduktbau auch schon bei geringerer Höhe zweckmäßig erscheinen lassen, während anderseits wieder reichlich verfügbares Dämmmaterial die Herstellung auch weit höherer Dämme rechtfertigen kann. Die Notwendigkeit, durch einen solch hohen Damm einen langen, schlauchartigen Durchlaß führen oder eine Brücke mit hohen Widerlagern erbauen zu müssen, wird aber, insbesondere bei Gebirgsbahnen, meist die Ausführung eines Viaduktes als vorteilhafter erscheinen lassen.

Die Viadukte werden aus Holz, Stein oder Eisen errichtet; doch kommen hölzerne Viadukte nur für provisorische Anlagen in Betracht. Auf den weltlichen amerikanischen Bahnen, welche waldreiche Gebiete durchziehen, sind dieselben in der Form der hölzernen Trestleworks (s. Gerüstbrücken) nicht selten.

Die steinernen Talbrücken werden meist im Halbkreis gewölbt. Eine rohe Regel für die günstigste Lichtweite ist f = 4 + 0,4 h, worin h die mittlere Höhe, doch ist diese von dem Verhältnis der Pfeilerkosten, die auch durch die Fundierungsverhältnisse bedingt sind, zu den Kosten des Gewölbmauerwerkes abhängig. Eingehenderes s. in [1]. Bei großer Höhe ist für die Wölbform in einigen Beispielen auch der überhöhte Korbbogen in Anwendung gebracht worden. Beispiele sehr hoher gewölbter Eisenbahnviadukte sind: der Göltschtalviadukt mit 80,4 m, der Elstertalviadukt mit 69,7 m, beide auf den sächsischen Staatsbahnen, der Muldentalviadukt mit 68,0 m auf der Chemnitz-Leipziger Bahn, der Diedenmühlviadukt mit 57,0 m auf der Chemnitz-Rifaer Bahn, der Schmiedtobelviadukt (Arlbergbahn) mit 54,0 m, der Viadukt de l'Aulne mit 54,0 m, der Viadukt über die Kalte Rinne (Semmeringbahn) mit 45,7 m Höhe u.a. Der früher übliche Stockwerksbau (Viadukte der Semmeringbahn) oder die Verspreizung der Pfeiler durch Spannbogen (Göltschtalviadukt u.a.) findet jetzt selbst bei hohen Viadukten keine Anwendung mehr. Bei gleichzeitiger Wölbung der Viaduktöffnungen haben die Pfeiler nur dem Unterschiede des Horizontalschubes der angrenzenden Gewölbe unter Berücksichtigung der zufälligen Belastung einer Oeffnung standzuhalten, können daher verhältnismäßig schlank ausgeführt werden. Da aber bei größerer Länge des Viaduktes nicht sämtliche Oeffnungen gleichzeitig zur Wölbung bezw. Ausschalung kommen, so trennt man je drei bis fünf Oeffnungen durch[795] einen stärkeren Standpfeiler, der dann für den einseitigen Gewölbschub zu berechnen ist. Wenn Täler mit schmaler Sohle und Heilen, felsigen Lehnen oder ein größerer Flußlauf zu überschreiten sind, so ist eine große Mittelöffnung angezeigt, die mit einem Segmentbogen überspannt wird. Auf diesen stützt sich eine Bogenstellung, welche sich beiderseits bis zum Anschlusse an die Tallehnen fortsetzt (Isonzotalbrücke bei Salcano mit 85 m, Lavaurviadukt mit 61,5 m, Antoinetteviadukt mit 47,4 m [letztere zwei in der Eisenbahnlinie Montauban–Castres], Waldlitobelviadukt auf der Arlbergbahn mit 41 m Spannweite). Hinsichtlich der konstruktiven Durchbildung der gewölbten Viadukte s. Brücken, steinerne.

Die eisernen Viadukte haben eisernen Ueberbau auf gemauerten oder auf eisernen Pfeilern. Die günstigsten Oeffnungsweiten sind hier wieder auf Grund der geringsten Baukosten zu ermitteln. Untersuchungen hierüber und Formeln in [2]. – Für den eisernen Ueberbau der Viadukte mit mehreren Oeffnungen werden Einzelträger, durchgehende, Gelenk- und Bogenträger angewendet. Auf Einzelträger ist man besonders dort angewiesen, wo der Viadukt in einem Bogen gelegen ist. Sie werden als Parallelträger oder als Träger mit polygonalen Gurtungen ausgeführt. In letzterem Falle kommen Fischbauchträger oder auch Linsenträger mit obenliegender Fahrbahn zur Anwendung. Wegen der Entgleisungsgefahr hat man wohl bei langen Viadukten die Bahn etwas versenkt angeordnet, dagegen erscheint die Lage der Bahn am Untergurte der Hauptträger (Trisanaviadukt) bei großer Höhe des Viaduktes nicht recht begründet. Die früher häufig angewandten kontinuierlichen Träger, welche allerdings den Vorteil des freien Ueberschiebens des Tragwerks, also der Ersparung des bei hohen Viadukten kostspieligen Montierungsgerüstes, boten, werden wegen der andern mit diesem Konstruktionssystem verbundenen Nachteile in Deutschland und Oesterreich jetzt nur seiten ausgeführt. Man wendet dafür mit Vorliebe den kontinuierlichen Gelenkträger (s.d.) an, durch welchen sich die gleichen Vorteile der Gewichtsersparnis und der Montierung ohne Gerüst erzielen lassen. Insbesondere durch den letzten Umstand ist man gerade bei Viadukten zu den ersten größeren Anwendungen des kontinuierlichen Gelenkträgers veranlaßt worden (Kentucky – Riverviadukt, neuer Niagaraviadukt, Moldauviadukt bei Cervena u.a.). Endlich sind Viadukte mit Bogenträgern dort mehrfach ausgeführt worden, wo bei einer Talübersetzung sich die Anordnung einer großen Mittelöffnung als zweckmäßig herausstellte und an den Tallehnen feste Widerlager gefunden werden konnten. Beispiele: Garabitviadukt, die beiden Dourobrücken, Kornhausbrücke in Bern, Wupperviadukt bei Müngsten u.a. (s.a. Bogenbrücken). Eine besondere Ausbildung hat bei den eisernen Viadukten der Bau der Pfeiler erfahren; s.a. Pfeiler, eiserne.


Literatur: [1] Hoffmann, L., Zeitschr. d. Arch.- u. Ing.-Ver. zu Hannover 1881, S. 559. – [2] Weiß, F.J., Dimensionierung und ökonomisch günstigste Zahl von Zwischenpfeilern u.s.w., Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1880, S. 169. – [3] Roll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, Wien 1895, Art. Viadukte.

Melan.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 795-796.
Lizenz:
Faksimiles:
795 | 796
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika