Aale

[5] Aale (Muraenidae), Familie der Knochenfische aus der Abteilung der Edelfische (Physostomi) und der Gruppe der Apodes (ohne Bauchflossen), schlangenähnliche Fische mit scheinbar nackter Haut, die oft sehr kleine Schüppchen enthält, zuweilen ohne Brustflossen, mit einer senkrechten Flosse vom Rücken bis zum After. Die Haut umhüllt den Kiemendeckel nebst den Kiemenstrahlen, und nur zwei (oder eins) seitliche Löcher führen zu den Kiemen, so daß die A. lange außerhalb des Wassers leben können. Die A. entwickeln sich aus Leptocephalus-Arten durch Metamorphose. Sie leben als Raubfische im Meer und in den Flüssen.

Der Flußaal (Anguilla vulgaris Flem.), bis 6 kg schwer und 1,25 m lang, mit kurzen Brustflossen und äußerst zarten Schuppen, die sich nicht decken und in der schleimigen Haut Zickzacklinien bilden, ist dunkelgrün, blauschwarz oder graugelb, am Bauche stets heller. Sein Blut enthält, namentlich im Süden, ein sehr heftiges Gift, Ichthyotoxin, das zu den Eiweißkörpern gehört und, durch eine Wunde ins Blut andrer Tiere gebracht, ähnlich wie Schlangengift wirkt. Der Aal lebt in tiefem Wasser mit schlammigem Grunde, besonders in Brackwasser, ist über ganz Europa verbreitet,[5] fehlt aber in den Flüssen, die mittelbar oder unmittelbar ins Kaspische oder Schwarze Meer münden. Er ist sehr wanderlustig, doch beruht der alte Glaube, daß er nachts aufs Land gehe, um Schnecken und Gewürm, wohl gar Erbsen zu fressen, auf Mißverständnis oder Verwechselung. Er ist durch sein enges Maul auf Würmer, kleine Kruster und Fische beschränkt, überfällt aber auch Frösche und soll selbst Aas nicht verschmähen. Im Winter hält er, im Schlamm verborgen, Winterschlaf. Im Alter von 4–5 Jahren wandert er vom August bis Oktober (die männlichen A. schon früher), hauptsächlich in stürmischen, finstern Nächten, ins Meer. Hier wird er geschlechtsreif, laicht im Dezember und Januar in mindestens 500 m Tiefe, und aus den Eiern schlüpfen die 6 cm langen, seitlich zusammengedrückten, farblosen, durchsichtigen Larven, die bisher als Leptocephalus brevirostris (s. Abbildung) beschrieben wurden. Die alten A. scheinen als Tiefseefische nur kurze Zeit weiter zu leben.

Leptocephalus brevirostris.
Leptocephalus brevirostris.

Die junge Brut von etwa 7 cm Länge wird allmählich aalähnlicher, steigt nach einem Jahr, große Hindernisse überwindend, über Schleusen, kleinere Wehre und, an Felsen emporkletternd, in großen Scharen in die Flüsse und erreicht hier in 11/2 Jahr eine Länge von 65 cm. Alle in den Flüssen lebenden A. besitzen unentwickelte Geschlechtsorgane. Um den jungen Aalen das Aufsteigen in die Flüsse zu erleichtern, baut man neben großen Wehren, die ein unübersteigliches Hindernis bilden, Aalbrutleitern, d.h. aus rohen Brettern mit niedrigen Querleisten zusammengenagelte und mit Kies bedeckte Rinnen, die mit einer Neigung von 1:5 bis 1:8 aus dem Oberwasser in das Unterwasser der Mühlen reichen. Vor dem untern trichterförmig erweiterten Ende wird Reisig befestigt. Diese Vorrichtungen werden von der aufsteigenden Aalbrut bereitwillig benutzt. In den Lagunen von Comacchio an der Pomündung wird ein System von Schleusen und Kanälen im Frühjahr der einziehenden Aalbrut geöffnet und begünstigt im Herbst den Fang der 4–5 Jahre alten A., die sich zur Auswanderung anschicken. Man fängt den Aal besonders bei der Auswanderung ins Meer (Fettaal), weil er dann nicht frißt, mit Netzen und Reusen, den jungen, sehr gefräßigen Aal auch mit der Angel und tötet ihn am besten durch Abtrennen des Kopfes. Die sehr lange anhaltende Reflextätigkeit des Rückenmarks, infolge deren sich die Stücke des toten Aals lebhaft winden, wird sofort beendigt, wenn man eine Stricknadel in das Rückgrat stößt. Der fettreiche Aal ist überall frisch, geräuchert und eingemacht beliebt, namentlich waren die angelsächsischen Stämme von jeher Liebhaber desselben; Verwilligungen und Freibriefe wurden oft durch Zahlungen in Aalen geregelt. Die Klöster begünstigten die Anlage von Aalteichen, und zahlreiche Namen zeugen von der frühern Ergiebigkeit des Aalfanges (Ellesmore, Elfinger Hof etc.). Vgl. Coste, Voyage d'exploration sur le littoral de la France et de l'Italie (2. Aufl., Par. 1861); Nitsche, Der Flußaal und seine wirtschaftliche Bedeutung (Dresd. 1886); Linstow, Die Fortpflanzungsgeschichte der A. (Stuttg. 1900); Leonhardt, Der gemeine Flußaal (das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 5-6.
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