Abtreibung der Leibesfrucht

[60] Abtreibung der Leibesfrucht, die vorsätzliche, rechtswidrig herbeigeführte Ausstoßung eines unreifen oder noch nicht völlig ausgetragenen Kindes aus dem Mutterleib oder Tötung eines solchen im Mutterleib, sei es durch mechanische Kunstgriffe, sei es durch innere arzneiliche Mittel (s. Fehlgeburt und Frühgeburt). Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 218 ff.) straft die Schwangere, die ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet, mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren und bei mildernden Umständen mit Gefängnis bis zu 5 Jahren und nicht unter 6 Monaten. Gleiche Strafe trifft auch denjenigen, der mit Einwilligung der Schwangern die Mittel hierzu bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Hat der Betreffende dieses gegen Entgelt getan oder ihr gegen Entgelt die Mittel zu der von ihr verübten A. verschafft (sogen. Lohnabtreibung, häufig gewerbsmäßig betrieben), so steigert sich die Strafe auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren. Wurde aber die A. vorsätzlich ohne Wissen und Willen der Schwangern vorgenommen, so tritt Zuchthausstrafe von mindestens 2 bis zu 15 und, wenn dadurch der Tod der Schwangern herbeigeführt wurde, Zuchthausstrafe von mindestens 10 Jahren bis auf Lebenszeit ein. Auch der Versuch der A. ist strafbar. Im Gegensatze zu diesem sogen. kriminellen Abortus steht der künstliche, d.h. der vom Arzt aus therapeutischen Gründen ausgeführte Abortus (vgl. Fehlgeburt und Frühgeburt). Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 145 ff.) wird die versuchte A. mit einfachem Kerker von 6 Monaten bis zu einem Jahre, die vollbrachte mit schwerem Kerker von 1–5 Jahren bestraft; zu der gleichen Strafe ist der Vater zu verurteilen, wenn er mit an dem Verbrechen Schuld trägt. Die Abtreibung der fremden Leibesfrucht wider Wissen und Willen der Mutter wird, wenn sie auch nur versucht wurde, mit schwerem Kerker zwischen 1–5, und wenn zugleich der Mutter durch das Verbrechen Gefahr am Leben oder Nachteil an der Gesundheit verursacht worden ist, zwischen 5–10 Jahren geahndet. – Selbst die vom Arzt geleitete A. zieht oft chronische Leiden und andre schwere Folgen nach sich. In manchen Ländern besteht die Unsitte, daß selbst verheiratete Frauen die A. vornehmen, um zu reichem Kindersegen vorzubeugen. Vgl. v. Fabrice, Die Lehre von der Kindsabtreibung (Erlang. 1868); Ploß, Zur Geschichte, Verbreitung und Methode der Fruchtabtreibung (Leipz. 1883); Reich, Geschichte und Gefahren der Fruchtabtreibung (das. 1892); Lewin u. Brenning, Die Fruchtabtreibung durch Gifte und andre Mittel (Berl. 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 60.
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