Frühgeburt

[183] Frühgeburt, die vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft nach Ablauf der 28. Schwangerschaftswoche. Während Früchte, die vor dieser Zeit geboren werden (vgl. Fehlgeburt), nicht lebensfähig sind, lehrt die Erfahrung, daß nach diesem Termin geborne Kinder unter günstigen Umständen, wenn sie eine sorgfältige Pflege erfahren, sehr wohl fortzuleben imstande sind. Je näher der Tag der F. dem normalen Geburtstermin, d. h. dem Ende der 40. Woche, liegt, um so größer ist im allgemeinen die Aussicht auf Erhaltung des kindlichen Lebens. Die Ursachen der F. sind dieselben wie die der Fehlgeburt (s.d.). Die künstliche F., die absichtlich herbeigeführte, vorzeitige Geburt innerhalb der letzten zehn Schwangerschaftswochen hat den Zweck, Mutter oder Kind, oder beide vor Gefahren zu bewahren, denen sie beim Abwarten des normalen Geburtstermins ausgesetzt wären, wird am besten in der Zeit um die 34. Schwangerschaftswoche ausgeführt. Sie kommt hauptsächlich in Anwendung bei mäßigen Graden von Beckenenge, bei denen die Geburt eines ausgetragenen Kindes mit Schwierigkeiten verknüpft ist, während sie bei einer Frucht, der noch einige Wochen an der Reise fehlen, leichter von statten geht; besonders in solchen Fällen, wo bei vorausgegangenen rechtzeitigen Entbindungen schwere operative Eingriffe erforderlich waren und die Kinder stets tot zur Welt kamen, erweist sich die künstliche F. oft als ein sehr geeignetes Verfahren, unter möglichster Schonung der Mutter dieser zu einem lebenden Kinde zu verhelfen. Während also hier hauptsächlich die Rücksicht auf das kindliche Leben die Veranlassung zur künstlichen F. abgibt, kann sie anderseits auch allein durch das Befinden der Mutter bedingt sein. Erkrankungen der Mutter, die bei Fortbestehen der Schwangerschaft den mütterlichen Organismus ernstlich gefährden, wie z. B. Herz- oder Nierenkrankheiten, die zu schweren Allgemeinerscheinungen geführt haben, können ebenso wie sie unter Umständen die künstliche Fehlgeburt (s.d.) rechtfertigen, so auch in der spätern Zeit der Schwangerschaft die künstliche F. angezeigt erscheinen lassen. Die künstliche F. wurde von Macaulay 1756 in die Geburtshilfe eingeführt. In Deutschland wurde sie zuerst von Wenzel 1804 ausgeführt. Die Methoden, die zu diesem Zweck in Anwendung kommen, sind ungemein zahlreich. Die bekanntesten sind der Eihautstich, bei dem durch den Abfluß des Fruchtwassers die Wehentätigkeit in Gang kommt, ferner das Einlegen einer elastischen Bougie zwischen Uteruswand und Eihäute, eine häufig geübte Methode, die aber nicht in allen Fällen zum Ziele führt, und endlich das Einführen eines Ballons (Kolpeurynter, s.d.) in die Gebärmutter, ein Verfahren, das besonders in letzter Zeit sehr in Aufnahme gekommen ist. In keinem Fall ist die Einleitung der künstlichen F. als ein leichter und ungefährlicher Eingriff aufzufassen. Große Vorsicht, Sachkenntnis und peinliche Innehaltung der Asepsis sind erforderlich, um verhängnisvolle Folgen für Mutter und Kind abzuwenden. Das frühgeborne Kind bedarf einer besonders sorgfältigen Pflege und Ernährung. Für die ersten Wochen ist Bettung in einer Wärmewanne (Couveuse, s. Kind) sehr empfehlenswert. Die zweckmäßigste Nahrung ist Muttermilch. – Über F. der Tiere s. Fehlgeburt, S. 380.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 183.
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