Acht [2]

[82] Acht (althochd. âhta, mittelhochd. achte, »Verfolgung«), die durch Urteil verhängte Friedlosigkeit. Der Geächtete (Ächter, Verfestete) war nach germanischem Recht von der Friedensgemeinschaft ausgeschlossen. Er durfte und sollte als Feind des Volkes von jedermann verfolgt und getötet werden. Es war verboten, ihm Unterstützung, Obdach, Unterhalt zu gewähren; die A. setzte ihn außerhalb der Sippe und der Familie; seine Frau ward Witwe, seine Kinder Waisen. Wollte er sein Leben retten, so mußte er fliehen, er hauste im Walde. Daher hieß er auch Waldgänger (altnordisch skoggángr) oder Wolf (altnord. vargr). Auch das Gut des Friedlosen ward friedlos; es fiel an den König oder das Gemeinwesen. Die A. wurde in der Landes- oder Gerichtsgemeinde, später durch den König verhängt und verkündet. An die Ächtung (Achtserklärung, Friedloslegung) schloß sich häufig das Niederbrennen oder Niederreißen von Haus und Hof des Geächteten durch die Genossen der Gerichtsgemeinde an. In der fränkischen Zeit ward die A. zum prozessualen Zwangsmittel; der König verhängte sie über denjenigen, der ohne Bescheinigung echter Not, d.h. ohne Berufung auf gesetzliche Hinderungsgründe, auf eine gegen ihn erhobene Klage nicht vor Gericht erschien oder nach Fällung des Urteils sich weigerte, ein Sühneversprechen abzugeben, d.h. die Leistung der zur Wiedergewinnung des Friedens erforderlichen Geldsumme zuzusagen. Der so Geächtete konnte sich innerhalb Jahr und Tag durch freiwillige Gestellung aus der A. lösen. Andernfalls verfiel er der Oberacht (Aberacht), d.h. der vollen Friedlosigkeit, die durch den Achtbrief bekannt gemacht wurde. Der mit Gewalt vor Gericht gebrachte Ächter erlitt nach seiner Überführung stets die Todesstrafe. Zuständig zur Verhängung der Reichsacht, einer A., die sich über das ganze Reich erstreckte, waren im Mittelalter das Reichshofgericht sowie die kaiserlichen Landgerichte; Veranlassung hierzu bot insbes. die Verweigerung der Heeresfolge durch die Reichsfürsten, die Weigerung, die Landfriedensgesetze zu beschwören, die Verhängung eines erst durch den weltlichen Arm wirksam zu machenden Kirchenbannes (s. Bann). Später ging das Recht, die Reichsacht zu verhängen, an die beiden höchsten Reichsgerichte, den Reichshofrat und das Reichskammergericht, über. Durch die ständige Wahlkapitulation von 1711 (Art. 20) wurde ihnen jedoch die Zuständigkeit in Achtprozessen wieder entzogen. Es blieb ihnen nur die Instruktion des Prozesses; die Entscheidung lag nach vorher erstattetem Gutachten einer »Reichsdeputation«[82] bei Kaiser und Reichstag. Die Reichsacht wurde zum letztenmal 1706, und zwar über Kurfürst Max Emanuel von Bayern, verhängt. Vgl. Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (Leipz. 1901).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 82-83.
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