Acht

[19] Acht (die), ein Rechtsspruch, durch welchen abwesende Verbrecher nach vorausgegangener Anklage, Vorladung und Untersuchung für straffällig erklärt werden, ist seit der Einsetzung des Reichskammergerichts in Deutschland immer mehr außer Gebrauch gekommen und hat sich nur noch theilweise in England erhalten. Während des Mittelalters fand folgendes Achtsverfahren statt: der Angeklagte ward öffentlich gewöhnlich dreimal zur Verantwortung vorgeladen, bei Strafe, für geständig und überführt geachtet zu werden; erschien er nicht, so erfolgte die erste einfache Acht, bei welcher er in dem über ihn erkennenden Gerichtsbezirke kein Recht ausüben durfte und keinen Schutz hatte, auch im Betretungsfalle sogleich verhaftet werden mußte. Konnte der so Geächtete binnen Jahr und Tag keine Beweise seiner Schuldlosigkeit bringen, so ward er mit der zweiten, vollständigen Acht, der Oberacht, belegt, welche in gänzlicher Schutz- und Rechtslosigkeit bestand, bürgerlichen Tod, Eröffnung der Lehen, Auflösung der Ehe und Vogelfreiheit nach sich zog. »Sein Leib und sein Fleisch«, hieß es in einer alten Achtsformel, »sei den Thieren in den Wäldern und den Vögeln in der Luft zugetheilt und er selbst in des Teufels Namen in die vier Straßen der Welt gewiesen.« Wer den Geächteten aufnahm, verfiel selbst in die Acht, so z.B. 1566 der Herzog Johann Friedrich von Sachsen, als er dem geächteten Wilhelm von Grumbach einen Aufenthalt in seinem Lande gewährte. Vergehen gegen Kaiser und Reich, vornehmlich Landfriedensbruch und Auflehnung gegen die kais. Majestät hatte die Reichsacht zur Folge, welche im Verein mit den Reichsständen vom Kaiser ausgesprochen ward und sich nur dadurch von der Oberacht unterschied, daß der, welchen sie traf, aus allen Landen des deutschen Reichs verwiesen wurde. Das letzte Beispiel dieser Art war die Achtserklärung gegen Friedrich II., König von Preußen (1758), die aber wegen der energischen Protestation der evangelischen Reichsstände nicht in Ausübung gebracht wurde. – In den Ländern, wo die Achtserklärung noch gültig ist, hat sie nur die Folge, daß der Verbrecher aufgegriffen und den Gerichten überliefert werden muß. Das Verfahren beim Achtsprocesse ist im Wesentlichen folgendes: Über den abwesenden Verbrecher wird ein hochnothpeinliches Gericht gehegt, nach welchem er in dreier Herren Ländern vorgeladen und hierdurch geächtet wird. Nach Jahr und Tag wird diese Vorladung wiederholt und der Verbrecher aufgefodert, sich auf einen bestimmten Tag zu stellen. Geschieht solches nicht, so wird die Oberacht über ihn ausgesprochen und sein Vermögen der Staatskasse überwiesen, den Pflichttheil ausgenommen, welcher seinen Kindern zukommt. Stellt sich der Verbrecher übrigens nach abgelaufener Frist, so muß ein ordentliches Criminalverfahren gegen ihn eingeleitet und ihm ein Vertheidiger bestellt werden. – Der Ächtungsproceß findet endlich nur statt, wenn ein Verbrechen vorliegt, auf welches Todesstrafe steht und dessen Thatbestand vollständig erwiesen ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 19.
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