Ebenbild Gottes

[334] Ebenbild Gottes, eine zunächst biblische, dann dogmatische Vorstellung, die, den emphatisch hohen Begriff vom Menschen im Gegensatze zu dem Menschen als Naturwesen ausdrückend, in das allgemeine religiös-sittliche Bewußtsein übergegangen ist und eine folgenreiche Bedeutung in der Kulturgeschichte erlangt hat. Nach der sogen. jahvistischen Erzählung besteht die Gottähnlichkeit des Menschen in Erkenntnis und Unsterblichkeit (1. Mos. 3, 5. 22), ist ihm aber nur in erster Beziehung, und zwar unrechtmäßig, zu teil geworden; nach der elohistischen (1. Mos. 1, 26. 27) besteht sie in seiner Fähigkeit, über die vernunftlose Kreatur zu herrschen, also Gottes Regiment in gewisser Beziehung zu vertreten; in diesem Sinne bleibt das von Adam vererbte (1. Mos. 5,3) E. unverlierbar (1. Mos. 9, 6; Jak. 3, 9), ist aber dem männlichen Geschlecht unmittelbarer eigentümlich als dem weiblichen (1. Kor. 11, 7). Von beiden Erzählungen der Genesis hat Paulus Anlaß genommen zu seiner Lehre von Christus als dem vorweltlichen und einzig vollkommenen E. (2. Kor. 4, 4), in dem die natürlichen Nachkommen Adams verklärt werden müssen (2. Kor. 3, 18; Kol. 3, 10; Eph. 4,23). Die Kirchenlehre hat sich auf keinem dieser drei Wege gehalten, sondern faßte in ihrer Darstellung vom Urstande (s. d.) die Gottebenbildlichkeit als zeitlichen Anfang der Menschengeschichte, so daß der Mensch das E., was er sein sull, von Anfang an war und Ideal und Wirklichkeit zusammenfielen. Dabei ist jedoch folgender Unterschied: nach der katholischen Lehre besteht das einfache E. nur in der natürlichen Ausstattung des Menschen als vernünftiger, freier Persönlichkeit, die positive[334] Gottähnlichkeit aber in der noch dazu verliehenen wirklichen Vollkommenheit (s. Donum superadditum), die durch den Sündenfall verloren ging; die protestantische Lehre faßt die 1. Mos. 1, 26 in der Weise des hebräischen Parallelismus unterschiedenen Ausdrücke »Bild« und »Ähnlichkeit« als sachlich gleichbedeutend und läßt das E. bis auf wenige kümmerliche Reste durch den Sündenfall verloren gehen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 334-335.
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