Erigĕna

[44] Erigĕna (Eriugena), Johannes Scotus, einer der gelehrtesten Männer des 9. Jahrh., geb. um 833, wahrscheinlich in Irland, das damals Scotia major hieß, gest. etwa 880. Er machte sich auf weiten Reisen in den Orient mit der dortigen Wissenschaft bekannt und lehrte dann, von Karl dem Kahlen an die. Hochschule zu Paris berufen, Theologie und Philosophie, mußte jedoch, wegen seinen freiern Ansichten Frankreich verlassen und ward von Alfred d. Gr. 877 nach Oxford gezogen, wo er bald großen Einfluß gewann. Da er sich jedoch auch hier von dem Hasse seiner Gegner verfolgt sah, soll er sich in ein Kloster zu Malmesbury zurückgezogen haben und von den Mönchen mit Federmessern erstochen worden sein. Mit damals im Abendland seltener Kenntnis der griechischen Sprache ausgerüstet, übersetzte er die angeblichen Schriften des Dionysios Areopagita ins Lateinische. Seine Schrift »De divisione naturae« (hrsg. von Gale, Oxf. 1681, und von Schlüter, Münst. 1838; deutsch von Noack, Berl. 1872–76, mit Biographie) enthält sein gesamtes philosophisches System, und eine Abhandlung: »De divina praedestinatione«, widerlegt die der Augustinischen nachgebildete Prädestinationslehre des Mönches Gottschalk, seines Zeitgenossen. E., der mit Augustinus annahm, daß die wahre Philosophie mit der wahren Religion identisch sei, stellte eine mystisch-spekulative Emanationslehre auf, die sich an Pseudo-Dionysios anschloß. Aus der Gottheit gehen die Gattungen höherer Ordnung und dann die niedern stufenweise bis hinab zu den Individuen hervor: das ist der Prozeß der Analysis oder Resolution. Diesem steht gegenüber die Reversion oder Deïfikation (Vergottung), vermöge deren sich die unendlichen Individuen zu Gattungen sammeln und so stufenweise die Rückkehr zur Gottheit stattfindet, so daß schließlich Gott wieder alles in allem ist. Die Spekulation Erigenas wurde später von der Kirche verworfen. Vgl. Taillandier, Scot Érigène et la philosophie scholastique (Straßb. 1843); Christlieb, Lehre und Leben des Joh. Scotus E. (Gotha 1860); Huber Joh. Scotus E. (Münch. 1861); Kaulich, Das spekulative System des Scotus E. (Prag 1860); Hoffmann, Der Gottes- und Schöpfungsbegriff des Joh. Scotus E. (Jena 1876).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 44.
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