Frère-Orban

[89] Frère-Orban (spr frǟr-orbāng), Hubert Joseph Walthère (die zweite Hälfte seines Namens nahm F. nach seiner Vermählung mit einem sehr begüterten Fräulein Orban an), belg. Staatsmann, geb. 24. April 1812 in Lüttich, gest. 2. Jan. 1896 in Brüssel, erwarb sich in seiner Vaterstadt als Advokat (seit 1832) und als Führer der dortigen Liberalen bald eine einflußreiche Stellung, weshalb Rogier (s.d.) ihm 1847 das Portefeuille der öffentlichen Arbeiten, 1848 das der Finanzen übertrug. Nach seinem Rücktritt (1852) leitete er in der Kammer, der er 1847–94 ununterbrochen angehörte, die antiklerikale Opposition und war 1857 am Sturz des Ministeriums Dedecker (s. Decker 4) hervorragend beteiligt. Hierauf wieder zum Finanzminister, 1868 auch zum Ministerpräsidenten ernannt, machte er sich besonders um die Ablösung des Scheldezolles, finanzielle Reformen und Beilegung der Differenzen mit Frankreich wegen der luxemburgischen Eisenbahnen verdient, mußte aber 1870 den Klerikalen weichen. Seit 1878 von neuem Ministerpräsident, brachte er 1879 ein antiklerikales Unterrichtsgesetz zustande, rief jedoch durch seine Abneigung gegen Einführung des allgemeinen Stimmrechts bald einen scharfen Zwiespalt im liberalen Lager hervor, der nicht nur 1884 seinen eignen Sturz, sondern auch später den Verfall der von ihm geleiteten doktrinär-liberalen Partei herbeiführte. Seit 1891 Mitglied der belgischen Akademie, veröffentlichte er, zumeist anonym: »Les jésuites, l'enseignement et la convention d'Anvers« (Lüttich 1854); »La mainmorte et la charité« (Brüss. 1857); »La question monétaire« (1874); »La révision constitutionnelleen Belgique et ses conséquences« (2. Aufl. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 89.
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