Letten [2]

[454] Letten, Volksstamm in Rußland, der mit den Litauern, den Shmuden (Samogitiern) und den alten Preußen einen besondern Zweig des indogermanischen Völker- und Sprachstammes bildet. Die L. bewohnen den südlichen Teil Livlands und Kurland, außerdem Teile der Gouvernements Witebsk und Kowno, zerstreut findet man sie auch in andern Gouvernements, in Preußen auf der Kurischen Nehrung. Sie scheiden sich in drei Unterabteilungen: die eigentlichen L. im südlichen Livland, das oft vorzugsweise Lettland (Latweeschu seme) genannt wird, die kurländischen L. auf der Halbinsel Kurland und die Semgaller im Herzogtum Semgallen (»Grenzland«), dem Teil von Kurland, der von Mitau aus sich an der Düna hinauf erstreckt. Die Volkszählung von 1897 ermittelte in Rußland 1,435,937 L.; davon leben 480,000 in Kurland, 17,500 im Gouv. Kowno, 500,000 in Livland, 180,000 in Witebsk (insbes. in den Kreisen Reshiza und Dwinsk), der Rest in St. Petersburg und einigen benachbarten Gouvernements. Die L. sind mittelgroß, selten korpulent, von weißer Hautfarbe, mit schlichtem, meist blondem Haar, grauen oder blauen Augen, mäßigem Bartwuchs und mäßig langem, ziemlich breitem Schädel. Seit der Aufhebung der Leibeigenschaft sind die L. kulturell in raschem Aufschwung begriffen. Ihrem Nationalcharakter nach sind sie arbeitsam, geduldig und fügsam, offenherzig, gastfrei, aber gegen ihre Herren, die Deutschen und Russen, mißtrauisch und versteckt. Früher war es ihnen nur gestattet, Ackerbau und Viehzucht zu treiben, jetzt findet man bei ihnen Handwerker jeder Art, und besonders seit in jüngster Zeit der Erbgrund besitz sich bei ihnen eingebürgert hat, entfalten sie eine rege Tätigkeit, infolgedessen der materielle Wohlstand im Wachsen begriffen ist. Dörfer gibt es namentlich in Kurland und im südlichen Livland nur wenige, da die L. vorzugsweise in Einzelhöfen leben. In ihrer Kleidung wählen sie fast ausschließlich die weiße und hellgraue Farbe, ihre alte Nationaltracht verschwindet aber von Jahr zu Jahr mehr. Während die Litauer unter polnischer Herrschaft zur katholischen Kirche geführt wurden, wandten sich die L. als Untertanen des Deutschen Ordens der protestantischen Lehre zu. In neuerer Zeit hat die Propaganda der griechisch-katholischen Kirche es vermocht,[454] daß etwa 50,000 L. vom Luthertum abgefallen und zur orthodoxen Kirche übergetreten sind. Weiteres s. Lettische Sprache und Literatur.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 454-455.
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