Massōra

[414] Massōra (hebr., »Überlieferung«), eine zur Feststellung und unverfälschten Erhaltung des ursprünglich unvokalisierten Bibelwortes wohl schon von Esras Zeit an unternommene sprachwissenschaftliche Arbeit. Zu der von der jüdischen Tradition vererbten Vokalisierung und Akzentuierung des Alten Testaments kamen schon früh grammatische und kritische Bemerkungen, die sich teils mündlich fortpflanzten, teils in die Bibelhandschriften, sei es am Rande (M. marginalis) oder am Schluß (M. finalis), eingetragen wurden. Diese Tätigkeit ward von den Juden Palästinas und Babylons gepflegt. In Palästina war es in der zweiten Hälfte des 10. Jahrh. neben andern Gelehrten besonders Ahron ben Mose ben Ascher in Tiberias, der den Bibeltext feststellte und ihn den nachfolgenden Pflegern und Förderern der M., den sogen. Nakdanim (Punktatoren), überlieferte. Aus ihrer Zeit vielleicht stammt das älteste Handbuch der M., »Ochla w'ochla«, das schon im 12. Jahrh. zitiert und von S. Frensdorff (Hannov. 1864) herausgegeben ward. Der von Jakob ben Chajim ibn Adonia mühsam gesammelte Massorastoff ist zuerst abgedruckt in den rabbinischen Bibeln (Vened. 1524–25), deren Text als der rezipierte Bibeltext anzusehen ist. Die in den Zwischenkolumnen und den äußern Seitenrändern der Bombergschen Bibelausgaben Lesarten (K're, auch K'ri, d. h. lies! im Gegensatz m K'tib, Geschriebenes, ursprünglicher Text) und Wörterzählungen enthaltende M. heißt die M. parva; der übrige umfangreiche, diese erläuternde, allgemeine Sätze, Vers- und Wörterverzeichnisse bietende Stoff heißt M. magna und steht über und unter dem Texte der Bibel. Schließlich ist in der sogen. M. finalis (s. oben) eine Art massoretischen Wörterbuchs überliefert und sind die Differenzen zwischen ben Ascher und Mose ben David ben Naftali sowie die Abweichungen der palästinensischen und babylonischen Richtung ausgeführt. Auf das Studium der M. legt man heute mit Recht einen großen Wert, denn ohne eingehende Beschäftigung mit derselben ist eine korrekte, sach- und sinngemäße Bibelforschung nicht zu ermöglichen. Die Urheber und Sammler der M. nennt man Mafforeten[414] und den jetzigen Text des Alten Testaments die massoretische Rezension. Eine Erklärung der massoretischen Ausdrücke gaben Elias LevitaMasoret hamasoret«, 1538; deutsch von Semler, Halle 1772) und BuxtorfTiberias«, Basel 1620). Ein massoretisches Wörterbuch veröffentlichte Frensdorff (Hannov. u. Leipz. 1876), während S. Bär u. H. Strack die Dikduke hataamim des Ahron ben Moscheh ben Ascher und andre alte massoretische Lehrstücke (Leipz. 1879) edierten und Chr. D. Ginsburg in »The M. compiled from manuscripts alphabetically and lexically arranged« (Lond. 1880–81, 3 Bde.) das gesamte Material der M. herausgab. S. Bär, der die M. zur Herausgabe vorbereitet hatte (Leipz. 1869 ff.), veröffentlichte mit F. Delitzsch fast den gesamten hebräischen Text der Bibel auf streng massoretischer Grundlage. Die Literatur s. bei Bacher, Die Massora (in Winter und Wünsche, Jüdische Literatur, Bd. 2, S. 132, Trier 1894). Vgl. auch L. Blau, Massoretische Untersuchungen (Straßburg 1891).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 414-415.
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