Mimikry

[854] Mimikry (engl. mimicry, Nachäffung, Nachahmung; hierzu die Tafel »Mimikry«, mit Erklärungsblatt) ist die auffallende, zu Täuschungen führende Ähnlichkeit zwischen zwei nicht näher verwandten Tieren, deren eins meist durch den Besitz gefürchteter Waffen, starken Panzer oder durch widerlichen Geschmack oder Geruch gegen Nachstellungen geschützt ist, während das andre, solcher natürlicher Schutzwaffen entbehrende, wegen seiner Ähnlichkeit mit dem erstern gleichfalls von Verfolgern gemieden wird. Zu den durch Unschmackhaftigkeit geschützten Tieren gehören die Mitglieder ganzer Familien (unter den Schmetterlingen die Danaiden, Akräiden und Helikoniden. unter den Käfern die Telephoriden und Lampyriden, Fig. 13 bis 15 und 19, sowie manche Abteilungen der Rüßler und Pilzkäfer). Schmetterlingen und Käfern aus andern Gruppen (Fig. 14 und 16–19), deren Angehörige sonst starker Verfolgung ausgesetzt sind, muß jede Anähnlichung an dieselben, die für größere Entfernungen oder vor den Augen ungenauer Beobachter eine Verwechselung mit jenen herbeiführen kann, Schutz gewähren, bis durch fortgesetzte Auslese Nachahmungen entstehen, die selbst ein scharfes Auge in Zweifel bringen. Da die Insektenfresser die ungenießbaren Arten erst kennen lernen müssen, bietet es auch für mehrere geschützte Arten noch Vorteil, wenn sie sich in ihrem Aussehen gegenseitig annähern, weil sie dann zusammen nicht vielmehr Probieropfer za liefern haben, als früher einzeln. Im besondern häufig sind die schutzbedürftigern Weibchen unter den Nachahmern anzutreffen, und manchmal, wie z. B. bei Papilio Merope, kommt es vor, daß das sich überall nahezu gleichbleibende Männchen in jeder Provinz ein ganz verschieden aussehendes Weibchen hat, weil dasselbe ebenso vielen grundverschiedenen örtlichen Vorbildern nachgeartet ist. Anderseits werden oftmals Schmetterlinge und Käfer ganz verschiedener Gruppen in der äußern Tracht einander zum Verwechseln ähnlich, weil sie demselben Vorbilde nach geartet sind. Tiere, die mit gefürchteten Waffen versehen sind, z. B. Bienen, Wespen, Ameisen (Fig. 20 bis 27), Giftschlangen, werden gleichfalls oft nachgeahmt. Am auffälligsten wird die Erscheinung, wenn Tiere ganz andrer Ordnungen an solchen Nach ahmungen beteiligt sind, z. B. Bienen und Wespen durch Schmetterlinge, Käfer, Fliegen, Geradflügler und Halbflügler, oder Ameisen durch Käfer, Heuschrecken und Wanzen nachgeahmt werden. Je nach den Umständen kann sich die Ähnlichkeit auf Färbung, Form, Haltung und Bewegungsweise oder nur auf eine dieser Eigentümlichkeiten erstrecken. Manche kleine Käfer, die als Gäste bei blinden. unterirdisch lebenden Ameisen gefunden wurden, sind von diesen in der Farbe verschieden, gleichen ihnen aber in der seinen Skulptur des Panzers, der von den Ameisen beim Betasten mit den Fühlern wahrgenommen wird, und im Bau der Fühler, dem sie sich ganz wie jene bedienen. Bei verwandten Arten, deren Wirte Augen besitzen, tritt auch Ähnlichkeit der Färbung hinzu. Selbstverständlich ist nicht jede Ähnlichkeit als M. zu bezeichnen. Es gehört hierzu, daß beide Arten (die nachgeahmte und die nachahmende) nicht nur dieselbe Heimat, sondern auch gleichen Aufenthaltsort und entsprechende Lebensweise haben; ferner, daß die erstere Art irgendwelche natürlichen Schutzmittel besitzt, oder daß die Ähnlichkeit mit ihr, wie in dem erwähnten Fall der Ameisengäste, der andern den Nahrungserwerb erleichtert. Im weitern Sinne rechnet man zur M. auch die Nachahmungen ungenießbarer, lebloser Gegenstände, z. B. welker, zerfressener, schimmelbedeckter Baumblätter-durch Schmetterlinge (Blattschmetterlinge) oder Heuschrecken (Fig. 1–8), Zweigstückchen (Fig. 9–11), verschimmelter Tierleichname, Kothäufchen etc. (Fig. 28–30) oder des Untergrundes, auf dem das Tier ruht (grüner Zweige. Baumblätter, flechtenbewachsener Steine und Baumrinden, Fig. 12). Das Verständnis der Faktoren. durch die diese oft bis zur vollendetsten Täuschung führenden Nachahmungen zustandekommen, wurde erst durch die Theorie Darwins von der natürlichen Auslese möglich. Vgl. Darwinismus. Nach den grundlegenden Arbeiten von Bates, Wallace und Fritz Müller haben neuerlich namentlich Weismann, Poulton, Trimen und Finn sich um die Erforschung der M. verdient gemacht. Vgl. Haase, Researches on M. (Stuttg. 1898); Piepers, M., Selektion und Darwinismus (Leiden 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 854.
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