Nacherbe

[357] Nacherbe, eine Person, die vom Erblasser in der Weise als Erbe eingesetzt wurde, daß sie erst die Erbschaft bekommen soll, wenn sie bereits ein andrer, der sogen. Vorerbe, gehabt hat. Fällt dieser Vorerbe weg, so erhält der N. sofort die Erbschaft. Der Erblasser kann jedoch auch eine kürzere oder eine längere Frist bestimmen. Damit aber die Erben, bez. die Nach kommen des Erblassers nicht übermäßig lange Zeit durch Anordnung des Erblassers an der freien Verfügung über die Erbschaft gehindert sind, bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch in § 2109, daß die Einsetzung eines Nacherben mit dem Ablaufe von 30 Jahren nach dem Tode des Erblassers unwirksam wird. Von dieser Bestimmung gibt es jedoch zwei Ausnahmen. Ist nämlich die Nacherbfolge für den Fall angeordnet, daß in der Person des Vorerben oder des Nacherben ein bestimmtes Ereignis (z. B. Verheiratung) eintritt, so gilt die Einsetzung als N. auch über die erwähnten 30 Jahre hinaus, wenn derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalles bereits lebte. Die zweite Ausnahme und damit Erstreckung des Zeitraumes über 30 Jahre tritt ein, wenn dem Vorerben oder einem Nacherben für den Fall, daß ihm ein Bruder oder eine Schwester geboren wird, der Bruder oder die Schwester als N.[357] bestimmt ist. Da dem Vorerben die Pflicht obliegt, die Erbschaft später an den Nacherben herauszugeben, ist er in der Verfügung über die Erbschaft nach verschiedenen Richtungen hin beschränkt. Zunächst hat der Vorerbe auf Verlangen des Nacherben ein Verzeichnis sämtlicher zum Nachlaß gehörigen Gegenstände anzufertigen, letztern auf Verlangen hierzu beizuziehen, das Verzeichnis zu unterzeichnen und dem Nacherben zu übergeben. Auf Verlangen des Vorerben hat der N. dieses Verzeichnis sogar durch die zuständige Behörde aufnehmen und eine amtliche Wertfestsetzung vornehmen zu lassen. Den Nachlaß hat der Vorerbe ordnungsgemäß zu verwalten und jederzeit dem Nacherben Aufschluß über den augenblicklichen Stand der Erbschaft zu geben, falls er durch seine Verwaltung Veranlassung zu der Besorgnis gibt, daß er die Rechte des Nacherben erheblich verletzt (§ 2127). Wird durch sein Verhalten oder durch seine ungünstige Vermögenslage diese Besorgnis begründet, so kann der N. Sicherheitsleistung verlangen (§ 2128), und falls sie nicht erfolgt, die Entziehung der Verwaltung der Erbschaft beantragen. Solange ihm die Verwaltung nicht entzogen ist, kann er grundsätzlich wie der Erblasser über die Erbschaftsgegenstände verfügen, sie verkaufen, vertauschen, verbrauchen, zur Erbschaft gehörende Forderungen übertragen, kündigen und einziehen. Verfügt er jedoch über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder über ein zur Erbschaft gehörendes Recht an einem Grundstück, so ist dies ungültig, soweit dadurch die Rechte des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt werden. Das gleiche gilt, falls er Erbschaftsgegenstände verschenkt, ohne dadurch einer sittlichen Pflicht oder einer Forderung des Anstandes gerecht zu werden. Hypothekenforderungen, Grundschuld oder Renten schuld, die zur Erbschaft gehören, kann er nicht kündigen, die Zahlung an ihn darf jedoch nur mit Zustimmung des Nacherben erfolgen. Gehören Inhaberpapiere zur Erbschaft, so muß er sie auf Verlangen des Nacherben hinterlegen, die Zins-, Renten- oder Dividendenscheine darf er jedoch behalten. Wie der Erblasser den Zeitpunkt des Eintrittes der Nacherbfolge, d.h. wenn die Erbmasse von dem Vorerben auf den Nacherben überzugehen hat, frei bestimmen kann, so kann er auch bestimmen, daß der Vorerbe von all den erwähnten Beschränkungen und Verpflichtungen befreit sein soll. In diesem Falle spricht man von einer befreiten Vorerbschaft, von einem befreiten Vorerben. In Testamenten wird in einem solchen Fall der N. gewöhnlich auf das eingesetzt, »was von der Erbschaft bei Eintritt der Nacherbfolge noch übrig ist«, oder »der Vorerbe soll zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein«. Aber auch in diesem Fall darf der Vorerbe die Erbschaft nicht verschenken und muß auf Verlangen ein Inventar aufstellen und den Nachlaß abschätzen lassen. Hat er die Erbschaft in der Absicht, den Nacherben zu benachteiligen, vermindert, so kann der N. sich an den übrigen Nachlaß des Vorerben halten (Bürgerliches Gesetzbuch, § 2100–2146). Vgl. Groth, Die Nacherbschaft nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (Rostock 1901); Thiesing, Rechtsverhältnis zwischen Vorerben und Nacherben (im »Archiv für zivilrechtliche Praxis«, Bd. 94, S. 229 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 357-358.
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