Inhaberpapiere

[836] Inhaberpapiere (franz. Titres an porteur, ital. Titoli al portatore; engl. Securities to bearer), Wertpapiere, die keinen bestimmten Gläubigernamen enthalten, deren Aussteller vielmehr verspricht, jedermann, der die Urkunde nach Eintritt der Fälligkeit der in ihr verbrieften Forderung vorlegt, gegen Aushändigung des Papiers zu befriedigen. Die Forderung kann jeder Inhaber der Urkunde geltend machen, und der Aussteller wird auch durch Leistung an einen zur Verfügung nicht berechtigten Inhaber frei. Überhaupt kann der Aussteller dem Inhaber nur solche Einwendungen entgegensetzen, welche die Gültigkeit der Ausstellung betreffen oder sich aus der Urkunde ergeben oder dem Aussteller unmittelbar gegen den Inhaber zustehen; er kann also z. B. einwenden, daß er zur Zeit der Ausstellung geisteskrank gewesen oder gar nicht um die Anfertigung des Inhaberpapieres gewußt habe, daß eine Bedingung der Leistung nicht erfüllt worden, daß der Inhaber von ihm bereits befriedigt sei oder ihm die Urkunde entwendet habe, nicht aber, daß ihm das Papier überhaupt von irgend jemand gestohlen worden, oder daß er es verloren habe. Zur Unterzeichnung des Inhaberpapieres genügt eine im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift. Es kann aber auch die Gültigkeit der Unterzeichnung durch eine in die Urkunde aufgenommene Bestimmung von der Beobachtung einer besondern Form abhängig gemacht werden. Ohne solche Bestimmung kann sie von der Beobachtung besonderer Form bei Inhaberpapieren eines Bundesstaates oder seiner öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Stiftungen oder Anstalten kraft landesgesetzlicher Vorschrift abhängig sein (s. unten). Werden für ein Inhaberpapier Zinsscheine (Coupons) ausgegeben, so bleiben diese mangels einer ihnen eingefügten Bestimmung des Gegenteils auch dann in Kraft, wenn die Hauptforderung erlischt oder die Zinsverpflichtung aufgehoben oder geändert wird. Werden solche Zinsscheine bei der Einlösung der Hauptschuldverschreibung nicht zurückgegeben, so ist der Aussteller berechtigt, den Betrag zurückzubehalten, den er für die Scheine zu zahlen verpflichtet ist. Mit dem Begriff von Zinsen stimmt vorstehendes freilich nicht. Aber wie die im Hauptinhaberpapier verbriefte Forderung von ihrem Rechtsgrund, dem Darlehnsvertrag, losgelöst ist, so ist auch die im zubehörigen »Zinsschein« verbriefte Forderung losgelöst von ihrem Rechtsgrund, jenem Vertrag und der angefügten Zinsvereinbarung; sie ist keine Zinsforderung, wohl aber tritt sie an die Stelle einer Zinsforderung und ist wirtschaftlich einer solchen gleich. Der Eigentümer eines Inhaberpapieres kann, wenn es zum Umlauf ungeeignet wurde, die Erteilung eines neuen Stückes verlangen; er kann ein abhanden gekommenes oder vernichtetes Inhaberpapier, falls nicht in demselben das Gegenteil bestimmt war, aufbieten und für kraftlos erklären lassen, um ein neues Stück zu verlangen. Das letztere gilt jedoch für I. gewisser Aussteller kraft besondern Landesrechts nicht (s. unten), es gilt auch allgemein nicht für Zinsrenten- und Gewinnanteilscheine sowie die auf Sichtzahlbaren unverzinslichen Schuldverschreibungen; vielmehr kann das Recht aus einer abhanden gekommenen oder vernichteten Urkunde solcher Art auch ohne Aufgebot geltend gemacht werden, freilich nur, wenn die Urkunde vor Ablauf der Meldefrist weder zur Einlösung vorgelegt noch zur Klage gebracht ist. Über Banknoten s. Banken (bes. S. 336), Papiergeld sowie § 6 des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875. Über das Aufgebotsverfahren s. d. und § 946 s. und 1003 s. der Zivilprozeßordnung. Aber auch schon vor der Kraftloserklärung kann der Eigentümer des Inhaberpapieres unberechtigte Einlösung verhindern, indem er eine Zahlungssperre (s. d.) nach § 1059 der Zivilprozeßordnung erwirkt. Neue Zin s- oder Rentenscheine (Coupons) für ein Inhaberpapier dürfen an den Inhaber der zum Empfang der Scheine ermächtigenden Urkunde (Erneuerungsschein oder Talon) nicht ausgegeben werden, wenn der Inhaber der Hauptschuldverschreibung der Ausgabe widersprochen hat. Die Scheine sind in diesem Falle dem Inhaber der Hauptschuldverschreibung auszuhändigen, wenn er letztere vorlegt. Die Umschreibung eines Inhaberpapieres auf den Namen eines bestimmten Berechtigten kann nur durch den Aussteller erfolgen; dieser ist dazu nur verpflichtet, wenn er ein Staat oder eine Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts ist und das Landesgesetz ihm diese Verpflichtung auferlegt. Hierauf Bezügliches betreffs Preußens s. unten. Für die Forderung aus einem Inhaberpapier kann eine Hypothek (s. d.) bestellt, und ein Grundschuldbrief kann selbst als Inhaberpapier ausgestellt werden. Der Erwerb des Eigentums und Pfandrechts an Inhaberpapieren erfolgt wie der an beweglichen Sachen (vgl. Eigentum, S. 443). Der gutgläubige Erwerber eines Inhaberpapieres erlangt auch dann das Eigentums- oder Pfandrecht, wenn es gestohlen, verloren oder sonst abhanden gekommen ist. Eine Sondervorschrift in dieser Beziehung gilt nur für Bankiers, Geldwechsler u. Kaufleute (§ 367 des Handelsgesetzbuches) falls der Verlust des Inhaberpapieres im »Deutschen Reichsanzeiger« bekannt gemacht und noch kein Jahr seit der Bekanntmachung verflossen ist. Ausnahmen von dem Vorstehenden sind jedoch durch Sondervorschriften in den Ausführungsgesetzen von Preußen, Bayern und Württemberg geschaffen (vgl. Preußisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch,[836] Art. 17 ff., bayrisches Ausführungsgesetz, Art. 49 ff., und württembergisches Ausführungsgesetz, Art. 181 ff.). Preußen insbes. hat in dieser Beziehung unter anderm das Folgende bestimmt: a) Die das Kapital betreffenden (Haupt-) Stücke der von Preußen oder einem preußischen Kommunalverband ausgestellten I. werden ausgefertigt durch eigenhändige Unterzeichnung des Vermerkes »Ausgefertigt« seitens des damit beauftragten Beamten, die Zins- und die Erneuerungsscheine (Talons und Coupons) dieser I. durch den Ausdruck eines Trockenstempels mit dem königlich preußischen Adler bei den Scheinen des Staates und mit dem Wappen des Verbandes bei den Scheinen der Kommunalverbände. b) Zinsscheine der unter a) aufgeführten I., der Rentenbriefe von Ablösungsrentenbanken, der Pfandbriefe von öffentlichen land- oder ritterschaftlichen Kreditanstalten oder provinzial- oder kommunalständischen Grundkreditanstalten können niemals für kraftlos erklärt werden. c) Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sind auf Verlangen des Inhabers des von ihnen ausgestellten Inhaberpapieres verpflichtet, dieselben auf Namen umzuschreiben, es sei denn, daß der Inhaber nachweislich zur Verfügung über das Inhaberpapier nicht berechtigt ist. d) Wer zur Verfügung über ein umgeschriebenes Inhaberpapier der bezeichneten Aussteller berechtigt ist, kann eine neue Umschreibung oder die Rückverwandlung in ein Inhaberpapier und gegen Aushändigung der Urkunde die Erteilung eines neuen Inhaberpapieres auf seine Kosten verlangen. e) Eine abhanden gekommene oder vernichtete Schuldverschreibung, die auf den Namen umgeschrieben ist, kann, wenn nicht in der Urkunde das Gegenteil bestimmt ward, im Wege des Aufgebotsverfahrens für kraftlos erklärt werden. – Im übrigen vgl. Bürgerliches Gesetzbuch § 793–808 und die Artikel »Blanko, Order, Rektapapiere, Amortisation und Außerkurssetzung«. Vgl. Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren (Leipz. 1857); Brunner in Endemanns »Handbuch des Handelsrechts«, Bd. 2, § 191–199, und in Goldschmidts »Zeitschrift für Handelsrecht«, Bd. 22, S. 505; Bd. 23, S. 225; Dernburg, Das bürgerliche Recht, Bd. 2, S. 379 ff. (3. Aufl., Halle 1905); Folleville, Traité de la possession des meubles et des titres au porteur (2. Aufl., Par. 1875); Fellner, Die rechtliche Natur der I. (Frankf. 1888); Wahl, Traité théorique et pratique des titres an porteur (Par. 1891, 2 Bde.); Klemperer, Die rechtliche Natur der Genußscheine (Halle 1898); Ritter, Die allgemeinen Lehren des Handelsrechts mit einem Anhang, betr. das Recht der Inhaberschuldverschreibungen (Berl. 1900); Jacobi, Die Wertpapiere im bürgerlichen Recht (Jena 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 836-837.
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