Selēn

[320] Selēn Se, chemisch einfacher Körper, findet sich in der Natur weit verbreitet, aber immer nur in geringer Menge und niemals in freiem Zustand. Er begleitet sehr allgemein den Schwefel, und mehrere Selenmetalle (Blei, Kupfer, Quecksilber und Silber) treten als seltene Mineralien auf; mit Kupfer, Silber und Thallium bildet S. den Crookesit und Berzelianit. In sehr geringer Menge findet sich S im Schwefelkies, Kupferkies, in der Zinkblende und in dem Flugstaub, der sich beim Rösten derselben bildet; bei der Verarbeitung der Kiese auf Schwefelsäure sammelt sich S. in dem Schlamm der Bleikammern in größerer Menge, und aus diesem wird es dargestellt. S. wird aus Seleniger Säure durch Schweflige Säure als rote, flockige, sehr voluminöse Masse vom spez. Gew. 4,26–4,28 gefällt. Dies amorphe oder glasige S. verwandelt sich bei 100° unter starker Volumenverminderung und Erhitzung in dunkel bläulichgraues, in dünnen Schichten rubinrot durchscheinendes kristallinisches S. Aus der Lösung von amorphem S. in Schwefelkohlenstoff kristallisiert S. in dunkelroten Prismen vom spez. Gew. 4,47, die beim Erhitzen auf 100° in kristallinisches S. sich verwandeln. Geschmolzenes S. gibt bei schnellem Abkühlen glasiges S. Wird aber geschmolzenes S. rasch auf 210° abgekühlt und auf dieser Temperatur erhalten, so steigt die Temperatur plötzlich auf 217°, und das S. erstarrt dann zu grobkörnig kristallinischem, bleigrauem metallischen, etwas hämmerbarem S. vom spez. Gew. 4,8. Dies ist unlöslich in Schwefelkohlenstoff, schmilzt, ohne vorher zu erweichen, bei 217°, siedet bei 690° unter Bildung eines dunkelgelben Dampfes und ist sublimierbar. Metallisches S. gewinnt durch Belichtung die Eigenschaft, Elektrizität zu leiten. Eine gewisse Form des Selens (die weiche) ist für schwache Lichteindrücke außerordentlich empfindlich, ändert aber bei intensiver Belichtung ihren Widerstand relativ weniger als eine zweite, harte Form, die bei schwacher Belichtung ihren Widerstand relativ wenig ändert. Das Atomgewicht des Selens ist 79,2 Es bildet mit Sauerstoff Selendioxyd SeO2 und Selentrioxyd SeO3. Beim Erhitzen an der Luft verbrennt es mit hellblauer Flamme und unter Verbreitung von Rettichgeruch zu Selendioxyd SeO2, das farblose Kristalle bildet, flüchtig ist und sich in Wasser löst. Aus dieser Lösung kann Selenige Säure H2SeO3 in farblosen Kristallen erhalten werden. Diese nimmt an der Luft keinen Sauerstoff auf, wird vielmehr sehr leicht, z. B. durch hineinfallenden Staub und durch Schweflige Säure, vollständig reduziert. Chlor oxydiert sie zu Selensäure H2SeO4. Diese bildet eine farblose, der Schwefelsäure ähnliche Flüssigkeit vom spez. Gew. 2,7, löst Gold und Kupfer unter Bildung von Seleniger Säure, Eisen, Zink etc. unter Entwickelung von Wasserstoff; sie wird nicht von Schwefliger Säure zersetzt, gibt aber mit Salzsäure Selenige Säure und Chlor; ihre Salze gleichen den Schwefelsäuresalzen. Mit Wasserstoff bildet S. direkt sehr giftiges Selenwasserstoffgas H2Se, das wie Schwefelwasserstoff riecht, aber sehr heftig auf Augen und Respirationsorgane wirkt und den Geruchsinn auf längere Zeit zerstört. Man benutzt S. zur Konstruktion von Elektroradiophonen, Photophonen in der Lichttelegraphie und -Telephonie, zum Entscheinen grünen Glases, auch in der Porzellanmalerei. Es wurde 1817 von Berzelius entdeckt. Vgl. Ruhmer, Das S. und seine Bedeutung für die Elektrotechnik (Berl. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 320.
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